Die Rache der Horden
Wimpel mit weißem Streifen«, sagte Kindred leise. »Das war bislang nicht zu sehen.«
Hans stürmte zur Tür, drängte sich an Tim vorbei und stürmte auf den umzäunten Paradeplatz der Bastion.
»Kindred, blasen Sie Alarm!«
Er stieg auf die Mauer der Bastion und blickte direkt zu dem Aerodampfer hinauf, der mehrere hundert Meter hoch war; der Wimpel flatterte an der Kabine.
Eine seltsame Stille schien in der Luft zu liegen, und dann trieb aus Norden ein rollender Donner heran wie ein ferner Sturm.
Hans stürmte zu seinem Kommandozug hinüber, dessen Lokomotive bedächtig Dampf ausstieß.
»Fahren Sie mich zur Bastion 110!«, schrie er; seine Stabsoffiziere liefen ihm nach und stiegen an Bord, als die Lokomotive schon Fahrt nach Norden aufnahm.
Andrew musste seinen Zorn beherrschen und seine Schuldgefühle. Die Menschen dort drüben waren so oder so verdammt, und vielleicht lief es so gnädiger für sie. Aber diese Vorstellung half nicht.
Der Potomac lag vor ihm wie ein sich ausbreitender Teppich aus Leichen. Das Licht der Morgendämmerung zeigte die Spitze der Mole jetzt beinahe in der Flussmitte, ungeachtet des fürchterlichen Gemetzels unter den gefangenen Carthas. Obwohl jeder Meter, den die Mole weiter wuchs, hundert Tote kostete, ging es trotzdem weiter, und die Merki schlemmten dabei noch in einem Übermaß an Nahrung.
Gleichmäßig lief das Musketenfeuer die Frontlinie entlang und streckte immer mehr Arbeiter nieder. Immer mehr versuchten zu fliehen, aber durch die weit vorgeschobene Mole war die Strömung viel starker geworden. Die wenigen, die überhaupt in den Fluss vordrangen, wurden von ihren Merkipeinigern niedergestreckt.
Drei waren in der Nacht entkommen, aber zwei erlitten doch einen tragischen Tod, als sie von nervösen Wachleuten beim Versuch niedergeschossen wurden, die Wälle zu erklimmen. Der einsame Überlebende meldete, dass die Merki zehntausende Sklaven herangeführt hatten und damit prahlten, die Mole notfalls aus ihren Leichen zu errichten.
»Eine Nachricht von General Schuder, Sir.«
Andrew nahm den Zettel zur Hand, starrte kurz darauf, zerknüllte ihn und steckte ihn in die Tasche.
»Was steht drauf?«, wollte Schneid wissen.
»Wissen Sie, Rick, wir werden hier, wenn der morgige Tag anbricht, einen mörderischen Kampf erleben«, sagte Andrew kalt und deutete mit dem Kopf auf die Mole. »Ich möchte, dass die Artilleriereserve Ihres Korps bis Sonnenuntergang hier aufgefahren ist.«
»Was meldet Hans?«
»Unsere Flanke ist umgangen worden«, antwortete Andrew leise. »Ein volles Umen womöglich. Auch aus der Steppe im Westen wird eine näher kommende Staubwolke gemeldet.«
»Und?«
Andrew drehte sich zu dem jungen Korpskommandeur um.
»Falls ich Sie mit Ihren Divisionen zu Hans schicke und sich der dortige Angriff als Finte erweist, stehen wir hier womöglich nackt da. Falls dort oben der eigentliche Angriff läuft und hier die Finte ausgeführt wird und ich Sie nicht gleich losschicke, verlieren wir bis morgen früh die gesamte Flanke und auch die hiesige Linie.«
Ein Napoleoner sprang neben ihm rückwärts und jagte einen Sprühregen Kartätschen los, der ein Dutzend Gestalten von der Mole riss. Am Ufer gegenüber feuerten zwanzig Kanonen eine Salve ab; Eisenkugeln jagten über die Stellung, und Fontänen aus Erde und Gestein platzten in einem tödlichen Hagel aus der Flanke der Brustwehr. Andrew wurde selbst mit Staub überschüttet.
Am Himmel ging ein Merki-Luftschiff in den Sturzflug über. Das Triebwerke summte immer lauter. Andrew blickte eine Sekunde lang auf. Eine Batterie Vierpfünder, auf Gelenken montiert, schwenkte aufwärts und feuerte. Das Luftschiff ging wieder auf eine gleichmäßige Flughöhe und warf einen dunklen Gegenstand ab. Die Bombe fegte herunter und krachte Sekunden später in die nächste Batteriestellung. Die Erde bebte, als sie detonierte und eine Geschützlafette in die Luftjagte. Ein höhnisches Gebrüll stieg von den Merki am anderen Ufer auf, als das Schiff wendete und zurück nach Süden flog, den Nordwind im Rücken.
»Die Reserven warten auf den Marschbefehl«, sagte Rick. »Ich habe zwanzig Züge voll mit ihnen ein Stück weiter hinten auf der Strecke stehen.«
Andrew nickte und fingerte an dem zerknüllten Telegramm in seiner Hosentasche herum. Fast hundert Kilometer waren es bis zu Hans in Bastion 100. Eine Stunde, um die Züge in Fahrt zu bringen, zwei Stunden Fahrt, zwei Stunden für den Ausstieg und den Aufmarsch der
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