Die Rache der Kinder

Roger.
    »Könnten wir sie es nicht hier unten tun lassen?«, fragte Simon.
    »Das ist nicht das Spiel«, antwortete Jack.
    »Okay.« Roger änderte ihre Meinung. »Wir binden ihre Füße los.«
    Lauries Augen waren flehentlich auf Kate fixiert.
    »Ich werde dir nichts tun, Laurie«, sagte Kate. »Uns wird nichts geschehen.«
    »Glaubst du?«, entgegnete Jack.
    Er riss ein weiteres Stück Klebeband ab und drückte es Kate auf den Mund.
    »Lasst uns spielen«, sagte Roger.
    Teamwork.
    Jack hielt Kate, während Simon ihre Fußfesseln durchschnitt; dann gab er das Messer – das für Kate wie ihr schärfstes Küchenmesser aussah – an Jack weiter, der es in seinen Gürtel steckte. Kate wollte austreten, doch ihre Beine wollten einfach nicht gehorchen, und Piggy packte Laurie, während Roger ihr ebenfalls die Fußfesseln abnahm. Laurie war jedoch zu schwach zum Stehen, und so mussten sie sie die Wendeltreppe hinaufschleifen.
    »Beweg dich«, sagte Jack noch einmal zu Kate, während Simons behandschuhte Finger sich in ihren Unterarm gruben. »Beweg dich, oder du hast noch ein Kind auf dem Gewissen.«
    Das war Wahnsinn. Das war viel zu verrückt, um Wirklichkeit sein zu können, doch die anderen drei waren bereits auf halbem Weg die Treppe hinauf, und Kate spürte, wie wieder Blut in ihre Arme und Beine strömte … und gütiger Gott,was, wenn sie Emmie wirklich hatten? Und jetzt schoben sie sie vorwärts. Jack riss sie hoch, und Simon war unmittelbar hinter ihr. Es war hoffnungslos; sie konnte nichts tun.
    Kate sah, wie die anderen oben ankamen, sich nach rechts wandten und Roger und Piggy Laurie in die Nische zerrten, die Rob und Kate als Schlafzimmer diente. Dort stießen sie sie aufs Bett und drehten sie dann auf den Rücken.
    Laurie begann zu heulen.
    Dieses neue Geräusch, geboren aus Todesangst, vertrieb Kates Hilflosigkeit mit einem Schlag.
    Nun waren auch sie oben angekommen. Die Galerie war allerdings zu schmal, als dass drei Leute nebeneinander hätten gehen können.
    Jetzt.
    Kate trat mit aller Kraft aus. Sie traf Simons linkes Bein mit dem rechten Fuß – so hart, dass die Frau aufschrie, stolperte und Kates Arm losließ. Kate nutzte diesen Augenblick, bot all ihre aufgestaute Wut auf, stieß mit der rechten Hüfte nach ihr und …
    Alles geschah wie in Zeitlupe.
    Simon verlor das Gleichgewicht. Sie ruderte mit den Armen und griff in die Luft, fiel nach vorne und brach durch das Holzgeländer …
    »Simon!« In Piggys Schrei aus der Schlafzimmernische lag grelles Entsetzen.
    »Geh!« Roger übernahm die Initiative. Rasch kniete sie sich auf Lauries Schenkel und drückte sie so nach unten. »Piggy, geh! «
    »Sie ist okay!« Jacks raues Lachen erschreckte sie alle. Ergrub die Hand in Kates Haare und riss sie zum Rand der Galerie. »So, du verdammte Hexe. Schau dir an, was du nicht geschafft hast.«
    Kate starrte nach unten und sah, dass Simons Sturz von einem der dicken, alten Eisenhaken gebremst worden war. Die scharfe Spitze hatte sich in ihrem Overall verhakt und ihr so offensichtlich das Leben gerettet. Nun baumelte sie daran.
    »Simon?« Piggy war bereits auf halbem Weg nach unten. »Sie bewegt sich nicht!«
    »Sie ist in Ordnung, Piggy.« Jack setzte sich wieder in Bewegung und zerrte Kate zum Schlafzimmer. »Wir müssen das hier zu Ende bringen.«
    »Simon!« Piggy war außer sich. »Jack, sie antwortet nicht!«
    »Um Himmels willen, Jack«, rief Roger, »lass Piggy nach ihr sehen!«
    Kate sah, dass Roger Laurie noch immer niederdrückte. Die junge Frau war wieder vollkommen still, gefangen in ihrem persönlichen Albtraum.
    »Mach schon, Jack!«, befahl ihm Roger.
    »Na gut.« Jack zog das Messer aus seinem Gürtel.
    »Jack, komm schon«, drängte Roger erneut.
    » Na gut , hab ich gesagt.«
    Er drehte Kate herum und schlang den freien Arm fest um ihre Hüfte. Kate stieß einen Schrei aus. Sie wartete auf das Messer in ihrem Rücken und erschrak dann unwillkürlich, als ihr zuerst der rechte Handschuh ausgezogen wurde; dann spürte sie die Kälte des Stahls an ihren Fingern.
    Jack drehte sie wieder zum Bett.
    Laurie hatte die Augen geschlossen. Kate hoffte inständig,dass sie wieder in Ohnmacht gefallen war … und warum hatte sie das eigentlich mit Simon gemacht? Sie hatte ihre Situation nur noch verschlimmert.
    Jack hielt das Messer vor sich, die Klinge nach unten gerichtet.
    Er zögerte. Kate fühlte es. Er wankte.
    »Jack?« Roger fühlte es ebenfalls.
    »So war das nicht geplant.« Er klang