Die Rache der Kinder
waren weg.
Kate setzte sich auf die Toilette und schaute auf die Uhr: dreiundzwanzig Minuten nach zwölf. Einen Moment lang verwirrt, fragte sie sich, ob es Tag oder Nacht war; dann fiel ihr wieder ein, dass es hell gewesen war, Vormittag, als man sie in diesen Raum gebracht hatte.
Sie dachte an Simons Leiche und fragte sich, ob sie sie tatsächlich zurückgelassen hatten.
Und sie dachte an Laurie.
Kate drehte sich gerade noch rechtzeitig zum Becken um, ehe sie sich erbrach. Dann wusch sie sich den Mund ab und blickte auf ihr Spiegelbild. Sie sah Lauries Blut auf ihrem Gesicht und kämpfte gegen das Verlangen an, es abzuwaschen. Schließlich ließ sie sich in einer Ecke auf den Boden sinken und kauerte sich zitternd zusammen.
Allein , dachte sie. In Sicherheit.
Vielleicht.
Wieder dachte sie über das Schloss nach, das bis dato nicht da gewesen war.
Kate hatte die Tür noch nicht versucht, hatte nicht mal einen Gedanken daran verschwendet, wie sie hier herauskommen würde. Natürlich wusste sie, dass sie es bald würde tun müssen, denn das Badezimmer war klein und hatte kein Fenster. Zwar war es im Augenblick einigermaßen tröstlich, hier allein zu sein, ohne sie und weg von alldem …
Tod.
Selbst in der stummen Einsamkeit ihrer Gedanken fühlte dieses Wort sich genauso entsetzlich an, als hätte sie es laut ausgesprochen. Kate wartete erneut darauf, dass sie wieder zurückkommen, sie bestrafen, sie fertigmachen würden.
Doch sie würden nicht kommen; das wusste Kate. Sie waren tatsächlich weg und würden nicht mehr zurückkehren. Das hatten sie klargestellt, als sie darüber diskutierten, Simon zurückzulassen. Und auch Jacks letzte an sie gerichtete Worte hatten das angedeutet:
»Ich wünschte, ich könnte dich hier und jetzt umbringen.«
Wenn nicht hier und jetzt, dann wo und wann?
»Nicht jetzt«, sagte Kate laut.
Nur das zählte.
Der Schlüssel steckte von der anderen Seite im Schloss der Badezimmertür, doch Kate erinnerte sich an einen alten Trick, den selbst Kinder kannten. Sie riss den Boden der Kosmetiktuchschachtel heraus, schob sie unter die Tür und stocherte so lange im Schloss herum, bis der Schlüssel auf die Pappe fiel, sodass sie ihn ins Badezimmer ziehen konnte.
Das war zu leicht. Erst einmal, dass der Schlüssel überhaupt da war. Dann, dass er senkrecht im Schloss steckte, sodass er leicht rauszubekommen war. Und unter der Tür war auch noch genügend Platz …
Das war viel zu leicht. Das musste Teil ihres Spiels sein.
Kate wurde schon wieder übel, als sie die Tür aufschloss.
Sie öffnete sie.
Niemand war zu sehen.
Es sei denn, man zählte die beiden toten Frauen.
Sie zitterte wieder, als sie das Telefon erreichte und den Hörer abnahm.
Die Leitung war tot.
Ihr Herz begann zu pochen.
Kates Tasche lag noch immer auf dem Boden neben der Tür, doch ihr Handy fehlte wie auch ihre Wagenschlüssel, und es war keine große Überraschung, dass die Haustür verschlossen war und kein Schlüssel in Sicht. Die Fenster waren ebenfalls verriegelt, und diese Schlösser hatten sie selbst angebracht. Kate und Rob hatten damit Versicherungsauflagen erfüllt, aber natürlich diente das auch ihrem eigenen Seelenfrieden; doch wenn die Schlüssel jetzt hier waren, so konnte Kate sie zumindest nicht finden.
Schlag ein Fenster ein.
Kate wählte ein Küchenfenster. Es war das größte, weshalb sie leicht würde hindurchklettern können. Sie fand eine große, schwere Gusseisenpfanne, die bis jetzt so gut wie nie benutzt worden war. Dann kniff sie die Augen zum Schutz vor Glassplittern zu und holte aus. Die Wucht des Schlages wirkte geradezu erfrischend auf sie.
Kate wickelte sich zwei Küchenhandtücher um Hände und Handgelenke und kletterte unter Schmerzen auf den Fenstersims. Sie schlug so viel Glas heraus wie möglich und stieg nach draußen.
Kalte, frische Luft, Nieselregen und die Weite der Downs.
Ein paar Sekunden lang war es der Himmel auf Erden. Dann kehrte die Furcht mit aller Kraft zurück und löschte jegliche Freude aus, denn Kate wurde mit einem Mal bewusst, wie ungeschützt sie hier draußen war und dass es in mehreren Meilen Umkreis niemanden gab, den sie hätte um Hilfe bitten können.
Und sie beobachteten sie vielleicht, versteckt in einem der kleinen Wäldchen auf den so sanft aussehenden Hügeln …
Vorsichtig ging Kate auf ihren Mini zu. Ihre Knie waren noch immer weich. Dabei war sie ziemlich sicher, dass es sinnlos war, zum Auto zu gehen. Die Terroristen hätten
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