Die Radleys
tiefroten Fruchtsaftes, der in der Mitte der Schüssel schwimmt, fällt Rowan ein, dass er Hunger hat, und er nimmt sich eine Portion. Dann geht er ins Wohnzimmer und setzt sich vor den Fernseher. Er sieht sich Newsnight Review an, seine Lieblingssendung. Intellektuelle, die in Sesseln sitzen und über Theaterstücke und Bücher und Kunstausstellungen diskutieren, üben meistens eine beruhigende Wirkung auf ihn aus, was heute Abend auch nicht anders ist. Während über eine S&M-Version von »Der Widerspenstigen Zähmung« diskutiert wird, sitzt Rowan da und isst seine Grütze. Als er damit fertig ist, merkt er, dass er, wie üblich, immer noch Hunger hat. Trotzdem bleibt er einfach sitzen und fragt sich, was mit seinen Eltern passiert sein könnte. Wahrscheinlich hat Clara angerufen und will von ihnen abgeholt werden. Aber warum haben sie ihm nich t gesagt, dass sie wegfa hren?
Die berühmten Intellektuellen gehen zu einem Buch mit dem Titel Die unendliche Einsamkeit von Bäumen über, von Alistair Hobart, dem preisgekrönten Autor des Werkes Wenn der letzte Spatz singt .
Rowan hat ein geheimes Lebensziel. Er will einen Roman schreiben. Er hat viele Ideen, aber keine hat er bisher aufs Papier gebracht.
Das Problem ist, dass ihm seine Ideen alle ein bisschen zu trostlos vorkommen. Immer haben sie mit Selbstmord zu tun oder mit der Apokalypse oder – in letzter Zeit immer häufiger – mit irgendeiner Form von Kannibalismus. Im Allgemeinen spielen seine Gedichte in einer Zeit vor 200 Jahren. Aber eine Idee hatte er, die in der Zukunft spielt. Es ist seine bislang fröhlichste Idee – eine über das bevorstehende Ende der Welt. Ein Komet kommt auf die Erde zu, und nachdem diverse länderübergreifende Versuche, ihn aufzuhalten, gescheitert sind, steht den Menschen nach etwa einhundert Tagen der sichere Tod bevor. Nur fünfhundert Menschen bleibt eine einzige Überlebenschance: wenn sie an einer riesigen globalen Lotterie teilnehmen und eines von fünfhundert Flugtickets zu einer Raumstation gewinnen, können sie dort eine sich selbst versorgende Gemeinschaft gründen. Rowan stellt sich das Ganze wie eine Art Gewächshaus-Venus im Weltall vor. Ein Junge, siebzehn Jahre alt mit Hautallergien, gewinnt ein Ticket, das er aber schließlich verfallen lässt, um sieben Tage länger mit einem Mädchen zusammen zu sein, das er liebt. Den Jungen wird er Ewan nennen. Das Mädchen Eva.
Bisher hat er noch kein einziges Wort aufgeschrieben. Tief in seinem Inneren weiß er, dass er kein Romanschriftsteller werden wird. Er wird Anzeigenverkäufer werden oder, wenn er Glück hat, vielleicht Werbetexter oder so. Auch das ist schon hoch gegriffen, wenn man bedenkt, wie schlecht er sich bei Vorstellungsgesprächen präsentiert. Sein letztes Vorstellungsgespräch – ein Schülerjob im Willows Hotel in Thirsk als Kellner bei Hochzeitsempfängen – hatte in einer absoluten Katastrophe geendet, bei der er beinaheangefangen hätte zu hyperventilieren. Obwohl er der einzige Bewerber gewesen war, hatte ihn Mrs. Hodge-Simmons nur sehr zögernd genommen und sah ihre Zweifel bestätigt, als Rowan beim Auftragen am Brauttisch eingeschlafen war und der Mutter des Bräutigams Sauce über den Rock gegossen hatte, ohne es zu merken.
Er kratzt sich am Arm, wünscht sich, er wäre Alistair Hobart – ganz sicher würde sich Eve in ihn verlieben, wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über ihn diskutiert würde. Dann, als Kirsty Wark anfängt, die Resultate zusammenzufassen, klingelt das Telefon.
Es liegt neben der Vase auf dem Beistelltisch am Sofa und steht nicht in der Ladeschale. Er drückt die Gesprächstaste.
»Hallo?«
Am anderen Ende der Leitung kann er jemanden atmen hören.
»Hallo? Wer ist da? Hallo?«
Wer auch immer es ist, hat beschlossen, nichts zu sagen.
»Hallo?«
Er hört ein Schnalzen, vielleicht eine Missfallensbekundung, dann ein Seufzen. »Hallo?«
Nur das Freizeichen summt unheilvoll. Und dann hört er ein Auto, das die Einfahrt hinauffährt.
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SILICEALOTION
Eve sieht einen Mann über das Feld auf sich zuschreiten. Erst als er ihren Namen ruft, erkennt sie in dem Mann ihren Vater. Die Peinlichkeit, die das in ihr auslöst, wirkt erdrückend auf sie, und sie sinkt in sich zusammen, während er sich nähert.
Toby hat ihn ebenfalls gesehen.
»Wer ist das? Ist das …?«
»Mein Dad.«
»Was macht der hier?«
»Weiß ich nicht«, sagt Eve, obwohl sie ziemlich genau weiß, was er vorhat. Er will einen
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