Die Radleys
fragen.
»Was ist das mit dem Blut?«, fragt er. »Was ist mit ihr passiert? … Clara, was ist los? … Mum, warum sagt sie nichts? … Hat das was mit den komischen Anrufen zu tun?«
Diese letzte Frage scheint anzukommen. Seine Mutteröffnet die Tür des Badezimmers und blickt Rowan direkt in die Augen.
»Anrufe?«, fragt sie.
Rowan nickt. »Jemand hat angerufen. Jemand hat angerufen und wollte nichts sagen. Fünf Sekunden bevor ihr gekommen seid.« Er sieht zu, wie das Gesicht seiner Mutter einen besorgten Ausdruck annimmt.
»Nein«, sagt sie. »O Gott. Nein.«
»Mum, was ist los?«
Er hört, wie seine Schwester in die Dusche steigt.
»Mach ein Feuer an«, sagt seine Mutter.
Rowan sieht auf die Uhr. Es ist zehn nach zwölf, aber seine Mutter bleibt hartnäckig. »Bitte, hol einfach ein paar Kohlen von draußen und mach das Feuer an.«
Helen wartet darauf, dass ihr Sohn tut, was sie ihm gesagt hat, und wünscht sich, der Kohlenschuppen wäre weiter weg, sodass sie genug Zeit hätte, sich über all das klar zu werden. Sie geht zum Telefon, um die Nummer zu überprüfen. Dass er es war, weiß sie bereits. Sie kennt die Nummer nicht, die ihr die kalte, roboterhafte Stimme nennt, aber sie weiß, wenn sie da anruft, wird sie Wills Stimme hören.
Panik pocht in ihrem Schädel, während sie wählt.
Jemand hebt ab.
»Will?«, sagt sie.
Und dann ist er da. Mit seiner Stimme, so real wie immer, so jung und altertümlich zugleich.
»Also, diesen Traum habe ich fünftausendmal geträumt …«
In gewisser Weise ist dies die schwerste Aufgabe in dieser Nacht. Sie hat so lange darum gekämpft, seine Existenz auszublenden, sich fernzuhalten von seiner vollen undteuflischen Stimme, die einen Durst tief in ihr drinnen löscht und in ihre Seele strömt wie ein Fluss.
»Komm nicht her«, flüstert sie eindringlich. »Will, das ist wichtig. Komm nicht hierher .«
Rowan wird den Kohleneimer inzwischen gefüllt und den Rückweg zum Haus angetreten haben. »Er geht normalerweise ein bisschen anders«, sagt Will. »Der Traum.«
Helen weiß, dass sie zu ihm vordringen muss, verhindern muss, dass er kommt. »Wir brauchen dich nicht. Es ist geklärt.«
Er lacht, in der Leitung knistert es.
Sie merkt, wie sie fast zusammenbricht. Ihr Blick fällt auf eins der Bilder im Flur. Das Aquarell mit dem Apfelbaum. Es verschwimmt, und sie strengt sich an, bis die Konturen wieder erkennbar werden.
»Meinen allerherzlichsten Dank, Hel. Du?« Er legt eine Pause ein. »Denkst du noch manchmal an Paris?«
»Es ist einfach besser, wenn du wegbleibst.«
Die Dusche wird abgestellt. Clara steigt vermutlich heraus. Da ist auch schon das andere Geräusch. Die Hintertür. Rowan.
Und immer noch diese teuflische Stimme in ihrem Ohr. »Also, jetzt, wo du’s sagst, du hast mir auch gefehlt. In siebzehn Jahren gibt es viel Zeit für Einsamkeit.«
Sie kneift die Augen fest zusammen. Er weiß genau, wie er es machen muss. Er weiß, er kann vorsichtig an einem einzelnen Faden ziehen, und schon rollt sich alles auf.
»Bitte«, sagt sie.
Er sagt nichts.
Sie schlägt die Augen auf, und da steht Rowan, mit einem vollen Kohleneimer. Er sieht das Telefon an und dann sie, mit ihrem verängstigten flehenden Blick.
»Er ist es, nicht wahr?«, sagt Will.
»Ich muss auflegen«, sagt sie und drückt auf die rote Taste.
Rowan wirkt misstrauisch und zugleich verwirrt. Vor ihm fühlt sie sich nackt.
»Würdest du bitte Feuer machen.«
Mehr bringt sie nicht heraus. Aber ihr Sohn bleibt noch einige Sekunden länger stehen, reglos und ohne etwas zu sagen.
»Bitte«, sagt sie.
Er nickt, als ob er etwas verstanden hätte, dann tut er, was sie ihm aufgetragen hat.
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EINE BESTIMMTE ART VON HUNGER
Die Nacht eilt in panischem Tempo dahin.
Peter kehrt zurück.
Er verbrennt seine und Claras Sachen in dem lodernden Feuer.
Sie sagen Rowan die Wahrheit. Oder vielmehr die halbe Wahrheit, und selbst die kann er nicht glauben.
»Sie hat Harper umgebracht? Du hast Stuart Harper umgebracht ? Mit deinen Zähnen ?«
»Ja«, sagt Peter. »Das hat sie getan.«
»Ich weiß, dass sich das alles verrückt anhört«, fügt Helen hinzu.
Rowan stöhnt ungläubig. »Mum, mit verrückt hat das herzlich wenig zu tun.«
»Ich weiß. Es ist ein bisschen viel, um damit fertig zu werden.«
Peter muss sich nur noch um die Hose kümmern. Er rollt sie zu einem Knäuel zusammen und wirft sie ins Feuer, drückt mit dem Schürhaken den Baumwollstoff nach unten, um
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