Die Radleys
Last. Und während sie sich auf diese heliumartige Schwerelosigkeit konzentriert, merkt sie, dass ihre Füße nicht mehr auf dem Teppich stehen, sondern darüber sind, direkt über den zerknüllten Postern schweben.
Dann klingelt es an der Tür, und sie lässt sich auf den Teppich zurücksinken.
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Einem praktizierenden Vampir dürfen Sie niemals erlauben, Ihr Haus zu betreten, auch nicht, wenn es sich um einen Freund oder ein Mitglied der Familie handelt.
Handbuch für Abstinenzler
(Zweite Ausgabe), S. 87
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GESCHMACKVOLLE DEKORATION
Helen bleibt einfach im Flur stehen und lässt es geschehen. Sieht zu, wie ihr Ehemann ihn einlässt und umarmt. Er lächelt und sieht sie an, sein Gesicht hat von seiner Macht nichts eingebüsst.
»Ja, es ist lange her«, sagt Peter und hört sich weiter entfernt an, als er tatsächlich ist.
Will behält Helen während der Umarmung unablässig im Blick. »Teuflische Nachricht, Pete. ›Hilf mir, Obi-Wan Kenobi, du bist meine einzige Hoffnung.‹«
»Nun ja, also«, sagt Peter nervös. »Wir hatten einen ziemlichen Albtraum. Aber wir sind damit fertig geworden.«
Will geht nicht darauf ein und konzentriert sich auf Helen, die den Flur nie bedrückender fand. Die Wände mit den Aquarellen rücken näher und näher, und vor Klaustrophobie geht sie fast in Flammen auf, als Peter die Tür schließt. Will küsst ihre Wange.
»Helen, wow, kommt mir vor, als wär’s gestern gewesen.«
»Ach ja?«, antwortet sie spitz.
»Ja. Ich finde schon.« Er lächelt und sieht sich um. »Geschmackvolle Dekoration. Also, wann lerne ich die Kinder kennen?«
Peter fühlt sich schwach und unbehaglich. »Gut, ja, jetzt, würde ich vorschlagen.«
Und Helen sieht sich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun, außer ihn mit Leichenbittermiene in die Küche zugeleiten. Clara ist nicht da, aber irgendwie wünscht sich Helen, sie wäre es, allein schon, um Rowans neugierigen Blicken zu entkommen.
»Wer ist das?«, fragt er.
»Das ist dein Onkel.«
»Mein Onkel? Was für ein Onkel?«
Rowan ist irritiert. Man hatte ihm immer erzählt, seine Eltern wären Einzelkinder.
Und dann taucht ein mysteriöser Onkel auf, und Peter grinst blöde. »Nun, das ist mein … Bruder, Will.«
Rowan ist gekränkt und erwidert das Lächeln seines Onkels nicht. Helen kann sich denken, was ihm durch den Kopf geht: Noch eine Lüge in einem Leben, das vor Lügen überquillt.
Zu ihrem Entsetzen setzt sich Will auf Peters Stuhl und betrachtet das exotische Stillleben aus Müslipaketen und Toast im Brotkorb.
»Das gibt’s also zum Frühstück«, sagt Will.
Helen beobachtet verzweifelt die Szene, die sich vor ihren Augen abspielt. Sie sehnt sich danach, Will unzählige Dinge zu sagen, kriegt aber kein einziges Wort heraus. Er muss gehen. Peter muss dafür sorgen, dass er geht. Sie zupft ihren Ehemann am Hemd und verlässt mit ihm das Zimmer.
»Wir müssen ihn hier rausschaffen.«
»Helen, beruhige dich. Es ist alles in Ordnung.«
»Ich glaub’s einfach nicht, dass du ihm eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen hast. Wie konntest du das nur tun? So was Idiotisches.«
Peter ist jetzt verärgert, mit einer Hand massiert er sich die Stirn. »Mein Gott, Helen. Er ist mein Bruder . Ich verstehe dich nicht. Warum regst du dich bloß so auf, wenn du ihn siehst?«
Helen bemüht sich, ihre Stimme auf ein Normalmaß zureduzieren, während sie durch die Türöffnung späht. »Ich rege mich nicht auf, ich bin durcheinander. Es ist bloß … Gott, als wir ihn das letzte Mal sahen, waren wir … du weißt schon. Er ist unsere Vergangenheit. Er ist das Böse, das wir hinter uns gelassen haben, als wir hierherzogen.«
»Wie melodramatisch. Er kann uns doch helfen. Du weißt, dass wir hier in eine ziemliche Scheiße geraten können. Mit dieser Clara-Geschichte. Und erinnere dich, wie er ist. Mit Leuten. Mit der Polizei. Er kann Leute überzeugen. Um den Finger wickeln.«
»Durch Blutdenken? Ist es das, was du vorhast?«
»Vielleicht. Ja.«
Sie sieht ihren Ehemann an und fragt sich, wie viel Blut er gestern Nacht zu sich genommen hat.
»Im Moment hält er sich in unserem Haus auf und wickelt gerade unseren Sohn um den Finger. Er könnte ihm Gott weiß was erzählen.«
Peter bedenkt sie mit einem Blick, als hätte sie den Verstand verloren. »Helen. Komm schon, Vampire können mit Vampiren nicht blutdenken. Er kann Rowan nicht dazu bringen, etwas zu glauben, wenn es nicht stimmt.«
Diese Bemerkung scheint Helen noch
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