Die Radleys
werden misstrauisch. Das ganze Scheißdorf fragt sich schon, was du elender Scheißkerl mit deinem beschissenen Stück Campingbusscheiße hier zu suchen hast.«
»Dad«, wirft Clara beiläufig ein.
Will ist über den Wutausbruch seines Bruders ernsthaft überrascht. »Pete, du bist ja verärgert.«
Peter knallt wie zur Bestätigung die Flasche auf den Tisch. »Tut mir leid, Will. Das wird nichts. Unser Leben ist jetzt ein anderes. Ich habe dich angerufen, weil wir einen Notfall hatten. Und der Notfall ist vorbei. Du musst weg. Wir brauchen dich nicht. Wir wollen dich hier nicht.«
Will sieht seinen Bruder an, gekränkt.
»Peter, lass uns einfach …«, mischt sich Helen ein.
Jetzt sieht Will Helen an. Er lächelt. »Sag es ihm, Hel.«
Helen schließt die Augen. Im Dunklen ist es vielleicht einfacher. »Er bleibt bis morgen«, sagt sie. Dann steht sie auf und stapelt die Teller aufeinander.
»Ich dachte, du wärst es gewesen, die …«
»Er reist morgen ab«, sagt sie noch einmal und sieht, wie Rowan und Clara vielsagende Blicke tauschen.
Peter stürmt wieder aus dem Zimmer, die Flasche lässt er auf dem Tisch stehen. »Großartig. Ganz großartige Scheiße.«
»Väter, hm?«, bemerkt Will.
Und Helen steht am Tisch, versucht so zu tun, als hätte sie sein Zwinkern zur Besiegelung seines kleinen Triumphes nicht bemerkt.
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DIE NACHT VOR PARIS
Sie hatten es im Camper getan, in der Nacht vor Paris.
Beide waren nackt und kicherten und spürten die Erregung
des süßen Lebens, wenn sie die Haut des anderen berührten.
Und er erinnert sich an seinen ersten Biss, die
Intensität, die maßlose Überraschung, als ihm bewusst wurde, wie gut sie schmeckt.
Es war wie ein erster Besuch in Rom: Man geht eine unscheinbare Seitenstraße
entlang, und plötzlich ist man überwältigt beim Anblick des Pantheons.
Ja, sie war perfekt, diese Nacht. Eine ganze Beziehung in
einem Mikrokosmos. Die Lust, das Kennenlernen, die subtile Politik des Trinkens und
Getrunkenwerdens. Den Blutvorrat des anderen aussaugen und wieder auffüllen.
»Verwandle mich«, hatte sie geflüstert. »Mach mich
besser.«
Will sitzt draußen auf der Terrasse und starrt in die
sternenlose Nacht. Er erinnert sich an alles – die Worte, die Köstlichkeiten, die
Verzückung auf ihrem Gesicht, als Blut aus der Bisswunde an ihrem Handgelenk in die
Flasche tropft, während er sie mit seinem Blut fütterte und dabei mit entrücktem
Kichern aus »Christabel« von Coleridge zitierte.
O erschöpftes Fräulein, Geraldine,
ich bitt Euch,
trinkt diesen stärkenden Wein!
Es ist ein Wein von wirksamer Kraft;
Meine
Mutter machte ihn aus wilden Blumen.
An all das erinnert er sich, während er den mondhellen Garten mit
dem hohen Holzzaun betrachtet. Seine Augen folgen dem Zaun in den hinteren Teil des
Gartens, am Teich und dem Rasen entlang bis zu den gefiederten Silhouetten der
beiden Koniferen. Dazwischen sieht er das matte Licht hinter der Jalousie eines
Fensters, das wie ein Auge herauslinst.
Und dann nimmt er etwas wahr, ein Lebewesen hinter dem
Schuppen. Er hört einen Zweig knacken und hat wenige Sekunden später den Geruch von
Blut in der Nase. Er nippt an seinem Glas Isobel, um seine Sinne zu schärfen, und
atmet anschließend langsam und tief durch die Nase ein. Da der Geruch mit grüneren,
grasigeren Düften vermischt ist, kann er unmöglich sagen, ob das Blut lediglich von
einem Säugetier stammt – einem Dachs vielleicht oder einer verängstigten Katze –
oder etwas Größerem, einem Menschen.
Eine Sekunde später fliegt ihm ein Geruch zu, den er
kennt. Peters Blut. Er schiebt die Terrassentür auf und tritt mit seinem Weinglas
nach draußen.
Sie grüßen sich, und Peter setzt sich auf einen der
Gartenstühle.
»Tut mir leid«, sagt er zögernd. »Wegen vorhin, meine ich.
Ich hab überreagiert.«
Will hebt eine Hand. »Ach was, nein, ist alles meine
Schuld.«
»Es war nett von dir, dass du gekommen bist. Und heute mit
der Polizei warst du eine echte Hilfe.«
»Kein Problem«, sagt Will. »Ich dachte bloß gerade an
unsere Band.«
Peter lächelt.
Will fängt an, ihren einzigen Song zu singen: »Wie hübsch
du bist, in deinem roten Kleid, komm schon, Baby, jetzt ist unsere Zeit …«
Peter singt unwillkürlich mit, breit grinsend wegen des
idiotischen Textes. »Die Alten lassen wir hier bei ihren Sherrys, ich koste dein
Blut und denke an Cherries …«
Sie lassen ihr
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