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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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Bett, neben der alten Puppe aus Pappmaché, die er vor Jahren gebastelt hatte,
     als ihn seine Mutter samstags morgens zum Bastelkurs ins Rathaus schickte. (Er hatte
     sich entschieden, nicht wie die anderen einen Piraten oder eine Prinzessin zu
     modellieren, sondern den römischen Gott Saturn, der gerade seine Kinder auffrisst.
     Bei der zehnjährigen Sophie Dewsbury hatte er damit einen ziemlich tiefen Eindruck
     hinterlassen, sie brach in Tränen aus, als sie sah, wie kreativ Rowan mit roter
     Farbe und Krepppapier umgegangen war. Anschließend riet die Lehrerin Helen
     eindringlich, für Rowan eine neue Beschäftigung für den Samstagvormittag zu suchen.)
    Seine Schwester riss die Tür auf und blickte ihn fragend
     an. »Was machst du da?«
    »Nichts. Ich sitze auf meinem Bett.«
    Sie trat ins Zimmer und setzte sich neben ihn, während
     ihre Eltern weiterstritten.
    Clara seufzte und sah zu seinem Morrissey-Poster auf.
     »Wenn die bloß endlich die Klappe halten würden.«
    »Hast recht.«
    »Ist alles meine Schuld, oder?« Zum ersten Mal an jenem
     Wochenende schien sie ehrlich bestürzt.
    »Nein«, sagte er. »Sie streiten sich nicht deinetwegen.«
    »Ich weiß, aber wenn ich Harper nicht umgebracht hätte,
     wären sie nicht so, oder?«
    »Vielleicht nicht, aber ich glaube, es hat sich einfach
     aufgestaut. Und außerdem hätten sie uns nicht anlügen dürfen, findest du nicht?«
    Er sah, dass er sie mit seinen Worten nicht wirklich
     trösten konnte, also beschloss er, die Flasche unter seinem Bett hervorzuholen.
     Erstaunt betrachtete sie die Flüssigkeit in der halb leeren Flasche.
    »Ist von Will«, erklärte Rowan. »Er hat sie mir gegeben,
     aber ich habe noch nichts davon probiert.«
    »Wirst du es noch tun?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht.«
    Rowan reichte Clara die Flasche, die ein befriedigendes
     Plopp von sich gab, als sie den Korken herauszog. Er beobachtete sie, als sie nach
     dem Aroma schnüffelte, das aus dem Flaschenhals aufstieg. Sie setzte die Flasche an
     und nahm einen Schluck, und als ihr Gesicht wieder vor ihm auftauchte, waren alle
     Sorgen daraus verschwunden.
    »Wonach hat es geschmeckt?«, fragte Rowan.
    »Nach Himmel.« Sie lächelte, ihre Lippen und Zähne waren
     vom Blut verfärbt. »Und sieh her«, sagte sie, als sie ihrem Bruder die Flasche
     zurückgab. »Selbstkontrolle. Wirst du es probieren?«
    »Ich weiß nicht«, hatte er gesagt.
    Und jetzt, zehn Minuten, nachdem seine Schwester das
     Zimmer verlassen hat, weiß er es immer noch nicht. Er nimmt den Duft in sich auf,
     wie es seine Schwester getan hat. Er widersteht. Stellt die Flasche auf seinen
     Nachttisch und versucht, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Er setzt sich
     wieder an das Gedicht, das er über Eve schreibt, kommt aber immer noch nicht weiter,
     also liest er stattdessen ein bisschen Byron.
    In ihrer Schönheit wandelt sie
Wie wolkenlose Sternennacht;
Vermählt auf ihrem Antlitz sieh
Des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht:
    Seine Haut juckt, und er ringt um Konzentration, seine
     Augen rutschen an den Worten ab wie Füße auf Eis. Er zieht sein T-Shirt aus und
     sieht die Fleckenlandschaft, die seine Brust und Schultern bedeckt, die Stellen mit
     gesunder Hautfarbe tauchen wie Eisspitzen aus einem rot glühenden Meer auf.
    Robin Rotkehlchen!
    Er denkt an Tobys hasserfüllte Stimme und Harper, der
     lacht, wie über einen Jahrhundertwitz.
    Und dann fällt ihm etwas ein, was im vergangenen Monat
     passiert ist. Er war allein zu den Esskastanien am hinteren Ende des Sportplatzes
     gelaufen, um dort Schatten und Einsamkeit zu finden, als Harper hinter ihm
     herrannte, nur um ihn anzuspringen und zu Fall zu bringen, was ihm mühelos gelang.
     Rowan erinnert sich an den massigen, unnachgiebigen Koloss, der ihn ins Gras
     presste, ihm die Luft nahm, bis seine Lungen kurz vor dem Platzen standen, und an
     das unterdrückte Gelächter der anderen Jungen, Toby eingeschlossen, als Harpers
     brutalesNeanderthaler-Gebrüll alles übertönte. »Dickweed kriegt
     keine Luft mehr!«
    Und Rowan lag da, eingeklemmt, und hatte gar keine Lust,
     sich zu wehren. Er hatte in der harten Erde versinken und nie mehr zurückkehren
     wollen.
    Er greift nach der Flasche auf seinem Nachttisch.
    Auf Harper, denkt er, dann nimmt er einen
     tiefen Schluck.
    Der köstliche Geschmack flutet über seine Zunge und spült
     alle Sorgen und Spannungen weg. Schmerzen und Zipperlein, die ihn stets begleitet
     haben, sind wie

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