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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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gezuckt hätte oder im Postamt ein abfälliges Getuschel zu hören gewesen wäre. In Clapham hatte ihn niemand richtig gekannt und sich auch niemand die Mühe gemacht nachzufragen, womit er sich in seiner Freizeit beschäftigte.
    In Bishopthorpe hingegen waren die Dinge irgendwie anders. Schon früh hatte er realisiert, dass um ihn herum eigentlich immer getratscht wurde, selbst wenn die Stimmen wie das Vogelgezwitscher in den Bäumen verstummten, sobald er sich in der Nähe aufhielt.
    Als sie in der Orchard Lane gerade frisch eingezogen waren und Helens Bauch noch nichts anzumerken war, hatten die Leute wissen wollen, was dieses junge, attraktive Pärchen aus London bewogen hatte, sich für ein Leben in einem ruhigen Dorf mitten im Nirgendwo zu entscheiden.
    Natürlich hatten sie Antworten parat gehabt, von denen die meisten wenigstens teilweise zutrafen. Sie waren hierhergezogen, um näher bei Helens Eltern zu sein, da ihr Vater schwer herzkrank war. Die Lebenshaltungskosten in London waren geradezu absurd in die Höhe geschnellt. Und, vorallem anderen, wollten sie ihre zukünftigen Kinder in einer ruhigen, eher ländlichen Umgebung großziehen.
    Schwieriger waren allerdings die Erkundigungen nach ihrer Vergangenheit. Vor allem bei Peter.
    Wo war seine Familie?
    »Ach, meine Eltern sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als ich noch ein Kind war.«
    Hatte er Geschwister?
    »Nein.«
    Und wie kamen Sie auf Medizin?
    »Ich weiß es nicht, ich habe mich einfach dafür interessiert.«
    Er und Helen hatten sich also in den Achtzigern während des Studiums kennengelernt. Hatten sie da so richtig einen draufgemacht?
    »Eher weniger. Wir waren eigentlich ziemlich langweilig. Freitags sind wir vielleicht mal Curry essen gegangen oder haben uns ein Video ausgeliehen, aber das war auch so ziemlich alles. Es gab da einen wunderbaren Inder in unserer Straße.«
    In der Regel war es ihm und Helen gelungen, solche Erkundigungen erfolgreich abzuwehren. Nachdem Rowan geboren worden war und Peter sich als Bereicherung für die Arztpraxis in Bishopthorpe erwiesen hatte, wurden sie sofort als geschätzte Mitglieder in die Dorfgemeinschaft aufgenommen.
    Trotzdem war ihm stets klar, dass die Bewohner von Bishopthorpe nicht nur über andere Leute tratschten (das taten sie kontinuierlich – auf Dinnerpartys, auf dem Kricketplatz, an der Bushaltestelle), sondern auch über die Radleys.
    Richtig, in vielerlei Hinsicht hatten sich Peter und Helen so unscheinbar und neutral wie möglich benommen. Sie hatten sich stets genauso gekleidet, wie es die Leute vonihnen erwarteten. Sie hatten stets Autos gekauft, die zwischen den Kombis und Familienkutschen in der Orchard Lane so gut wie unsichtbar wurden. Und sie hatten dafür gesorgt, dass sie sich mit ihren politischen Ansichten in der sicheren Mitte befanden. Als die Kinder kleiner waren, gingen sie am Weihnachtsabend stets mit ihnen zur Kirche und am Ostersonntag auch.
    Wenige Tage nach ihrem Umzug hatte sich Peter sogar einverstanden erklärt, mit Helen sämtliche Schallplatten, CDs, Bücher und Videos durchzusehen, um jegliche Hinweise auf Vampire, auf vererbte und konvertierte, lebende oder tote, praktizierende oder abstinente zu verbannen.
    Peter hatte sich widerwillig von den VHS-Kassetten mit den geliebten Simpson-Bruckheimer-Filmen verabschiedet (nachdem er sich die blutbefleckten Sonnenuntergänge in Beverly Hills Cop II ein letztes Mal angesehen hatte). Norma Bengell in Planet der Vampire, Vivien Leigh in V om Winde verweht, Catherine Deneuve in Belle de Jour und Kelly LeBrock in Die Frau in Rot warf er zum Abschied Kusshändchen zu. Der Stapel mit Nachkriegsklassikern von Powell und Pressburger (von denen jeder Blutsauger wusste, dass sie ganz und gar nicht von Ballerinas und Nonnen handelten) und die zeitlos großartigen Vampirwestern (Red River, Rio Bravo, Blaze of Glory – Flammender Ruhm) wurden ebenfalls für schuldig befunden und wanderten in den Müll. Dass er sich von seiner kompletten Vampirporno-Sammlung und den heiß geliebten, wenn auch seit Langem nicht mehr abgespielten Betamax-Versionen von Smokey und der Vampir und Egal wie du beißt, trennen musste, versteht sich von selbst.
    Ebenfalls in die Tonne wanderten eines traurigen Tages im Jahre 1992 Hunderte von Schallplatten und CDs, die den klanglichen Hintergrund zu manch einem mitternächtlichen Gelage geboten hatten. Wie viele köstliche Schreieund Wehklagen hatte er zu den Schwarzmarkt-Pressungen von Dean

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