Die Radleys
Martins »Volare« und »Ain’t That A Bite In The Neck« gehört? Ein besonders schwerer Verlust für Peter waren die Blut-Soul-Klassiker von Grace Jones, Marvin Gaye und dem sittenlos-dämonischen Billy Ocean mit der EP Oceans of Blood , auf der die Endfassung von »Get Outta My Dreams, Get Into My Car (Because I’m Helluva Thirsty)« zu hören war. In puncto Bücher musste er sich von Schwarzmarktkopien von Studien über Caravaggio und Goya trennen, von diversen Folianten mit romantischen Gedichten, von Der Fürst von Machiavelli, Sturmhöhe, Nietzsches Jenseits von Gut und Böse und, zu allem Überfluss, von Wanderlust von Danielle Steel. Kurz gesagt: vom kompletten Blutsaugerkanon. Natürlich schafften sie sich ein Handbuch für Abstinenzler an, das sie aber stets sicher verborgen unter dem Bett aufbewahrten.
Um all diese bluttriefenden Kunstwerke zu ersetzen, gingen sie einkaufen und füllten die Lücken mit Phil Collins, Paul Simons Graceland und den Vier Jahreszeiten von Vivaldi, wobei sie den Frühling immer zum Essen auflegten, wenn Besuch kam. Außerdem erstanden sie Bücher wie Mein Jahr in der Provence und massenweise wertvolle historische Romane, die sie niemals lesen würden. Nichts offensichtlich Banales, keine zu hohe oder zu gewagte Kunst warf jemals wieder Schatten auf ihre Bücherborde. Wie mit allem Übrigen in ihrem Leben hielten sie sich in puncto Geschmack so dicht an die archetypischen, ländlichen Mittelklasse-Unblutigen, wie sie nur konnten.
Aber trotz all dieser Präventivmaßnahmen gab es gewisse Dinge, die sie unweigerlich verrieten. Da war Peters beharrliche Weigerung, dem Kricketclub beizutreten, obwohl ihn die Nachbarschaft in der Orchard Lane fortwährend bedrängte.
Dann war da der Tag, an dem Margaret vom Postamt siebesuchte und irritiert auf Helens Gemälde einer Nackten mit gespreizten Beinen auf der Chaiselongue blickte. (Woraufhin Helen ihre alten Ölgemälde auf den Dachboden verbannte und sich den Apfelbäumen in Aquarellfarben widmete.)
Es waren jedoch ihre unwissenden Kinder, deretwegen die tiefsten Risse zum Vorschein kamen. Die arme Clara mit ihrer Liebe zu den Tieren, die sich vor ihr fürchteten, und Rowan, über dessen Versuche in Creative Writing (Hänsel und Gretel als inzestuöse Kindermörder auf der Flucht; »Die Abenteuer von Colin dem neugierigen Menschenfresser« und eine fiktive Autobiografie über sein Leben in einem Sarg) sich die Lehrer in der Mittelstufe Sorgen machten.
Es war eine schmerzhafte Erfahrung, ihren Kindern dabei zuzusehen, wie sie sich erfolglos um Freundschaften bemühten, und als die Schikanen gegen Rowan anfingen, dachten sie ernsthaft über Privatunterricht nach. Sie würden ihnen damit zu einem Leben ganz ohne Sonnenstrahlen verhelfen und Mobbing von ihnen fernhalten. Aber am Ende hatte Helen sich nach anfänglichem Zögern durchgesetzt und dagegen entschieden, indem sie Peter an die unablässigen Predigten aus dem Handbuch für Abstinenzler erinnerte: mitmachen, mitmachen, mitmachen wann immer es geht.
Dieser Ansatz hätte bis zu einem gewissen Grad funktionieren können, war aber keine Garantie, Gerede vollständig von ihnen fernzuhalten, und würde auch nicht verhindern können, dass ihre Kinder mit Schülern in Kontakt kamen, die sie in Versuchung führten oder so sehr reizten, dass es zu einer ÜBD-Attacke kam.
Genau jetzt, an diesem Montagmorgen, wagt sich der Tratsch gerade aus dem Schützengraben, rückt näher und wird direkter und bedrohlicher. Peter steht an der Rezeption und sieht die Post und den Terminkalender durch. Während er das tut, hört er Elaine zu, deren biologische Prozesseohne ein bisschen Montagmorgengejammer nicht in Gang kommen. Sie unterhält sich in gedämpfter Weltuntergangsstimme mit einer Patientin von Jeremy Hunt.
»Ach, ist das nicht furchtbar, die Sache mit dem Jungen aus Farley?«
»Mein Gott, ich weiß. Schrecklich. Ich hab’s heute Morgen im Lokalsender gesehen.«
»Er ist einfach verschwunden.«
»Ich weiß.«
»Sie glauben, na ja, Sie wissen schon, dass er ermordet wurde.«
»Ach ja? In den Nachrichten hieß es, sie würden davon ausgehen, dass er weg …«
Elaine unterbricht sie schnell. »Nein. Nach allem, was ich gehört habe, hat der Junge keinen Grund, wegzulaufen. Er war sehr beliebt. Sportlich. Im Rugbyteam und auch sonst überall. Mein Freund kennt seine Mutter, und die sagt, dass er der netteste Junge war, den man sich vorstellen kann.«
»Ach, das ist furchtbar.
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