Die Räuberbraut
warum es im Winter immer so zieht. Vielleicht wird sie es abstützen lassen müssen.
Charis wäscht sich mit dem Duschgel aus dem Body Shop, dem mit dem Brombeerduft: die Arme, den Hals, die Beine mit den fast unsichtbaren Narben. Sie liebt das Gefühl, sauber zu sein. Es gibt äußere und innere Sauberkeit, hat ihre Großmutter immer gesagt, und innere Sauberkeit ist besser. Aber Charis ist innen nicht völlig sauber: immer noch haften Fetzen von Zenia an ihr wie schmutzige, fusselige Gaze. Sie sieht den Namen Zenia in ihrem Kopf, er glüht wie ein Krater, wie Lava, und streicht ihn mit einem dicken, schwarzen Stift energisch durch. Es ist zu früh am Morgen, um an Zenia zu denken.
Sie wäscht sich die Haare, rubbelt sie mit einem Handtuch trocken und scheitelt sie in der Mitte. Augusta geht ihr ständig damit auf die Nerven, daß sie sich die Haare schneiden lassen soll. Und färben. Augusta will keine alte, abgetakelte Mutter haben. Abgetakelt ist ihr Ausdruck. »Ich mag mich so, wie ich bin«, sagt Charis; aber sie fragt sich, ob das wirklich stimmt. Trotzdem weigert sie sich, sich die Haare zu färben, denn wenn man einmal damit anfängt, kann man nicht mehr aufhören, und das wäre nur noch eine weitere schwere Kette um ihren Hals. Man brauchte sich nur Roz anzusehen.
Sie tastet ihre Brüste vor dem Badezimmerspiegel ab – sie muß das jeden Tag machen, sonst vergißt sie es und macht es nie – und findet keine Knoten. Vielleicht sollte sie anfangen, einen Büstenhalter zu tragen. Vielleicht hätte sie immer einen tragen sollen; dann wären ihre Brüste nicht so schlaff geworden. Niemand sagt einem im voraus, wie das mit dem Altern ist. Nein, das stimmt nicht. Die Leute sagen es einem schon, aber man hört sie nicht. »Mum ist auf einem anderen Kanal«, sagte August immer zu ihren Freundinnen, bevor sie das a anhängte.
Charis nimmt ihr Quartzpendel aus seinem blauen, chinesischen Seidenbeutel – Seide speichert die Vibrationen, sagt Shanita –, hält es über den Kopf und beobachtet es im Spiegel. »Wird es ein guter Tag werden?« fragt sie das Pendel. Immer im Kreis herum bedeutet ja, vor und zurück bedeutet nein. Das Pendel zögert, fängt an zu schwingen: eine Art Ellipse. Es kann sich nicht entscheiden. Normal, denkt Charis. Dann ruckt es plötzlich und bleibt stehen. Charis ist verwundert: sie hat noch nie erlebt, daß es so etwas tut. Sie beschließt, Shanita zu fragen; Shanita wird wissen, was das zu bedeuten hat. Sie tut das Pendel in seinen Beutel zurück.
Um sich einen zweiten Blickwinkel zu verschaffen, greift sie zur Bibel ihrer Großmutter, schließt die Augen und stochert mit einer Nadel zwischen den Seiten herum. Das hat sie schon lange nicht mehr getan, hat aber das Gefühl dafür noch nicht verloren. Ihre Hand wird nach unten gezogen. Sie öffnet die Augen und liest: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Erster Brief an die Korinther, und, als Vorhersage für den Tag, keine große Hilfe.
Zum Frühstück ißt sie Müsli mit Joghurt und einem halben, kleingeschnittenen Apfel. Als Billy noch hier war, gab es Eier, von den längst nicht mehr existierenden Hühnern, und Frühstücksspeck. Das heißt, Billy aß den Speck. Er mochte ihn.
Charis löscht das Bild von Billy und den Dingen, die er mochte, aus ihrem Kopf – Lösch es! Wie ein Video} sagt Shanita. Statt dessen denkt sie an Speck. Sie hat keinen mehr gegessen, seit sie sieben war, aber andere Fleischsorten hat sie erst später aufgegeben. Das Lebensrettungskochbuch riet ihr, damals, vor langer Zeit, sich bildlich vorzustellen, wie ein beliebiges Stück Fett in ihrem Magen aussehen würde. Ein Pfund Butter, ein Pfund Schmalz, eine Scheibe Speck, ungebraten, weiß und labberig und platt wie ein Bandwurm: Charis ist nur zu gut, wenn es darum geht, sich Dinge bildlich vorzustellen; sie konnte nicht bei Fett aufhören. Jedesmal, wenn sie etwas in ihren Mund steckt, läuft sie Gefahr, daß sie in lebhaften Farben sieht, wie es durch ihre Speiseröhre in den Magen rutscht, wo es unschön hin und her gewälzt wird, um sich dann langsam durch ihren Verdauungstrakt zu schlängeln, der die Form eines langen, verhaspelten Gartenschlauchs hat, der innen mit kleinen, gummiartigen Noppen besetzt ist, wie diese Massagesandalen für die Füße. Früher oder später kommt es am anderen Ende wieder heraus. Das ist es, wozu ihre Konzentration auf gesunde Ernährung führen kann: sie
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