Die Ranch
waren homosexuelle Männer, aber in den letzten Jahren behandelte sie immer öfter Heterosexuelle und Frauen, die sich beim Geschlechtsverkehr, durch Drogen oder Infusionen mit Aids infiziert hatten. Am schmerzlichsten fand sie die tägliche Begegnung mit aidskranken Kindern. Dabei gewann sie jedes Mal den Eindruck, sie würde in einem Entwicklungsland arbeiten, denn sie konnte diesen armen Geschöpfen keine Genesung versprechen und ihnen kaum helfen. Manchmal mussten liebevolle Gesten genügen, eine Berührung der kleinen Hände, ein paar Minuten, die sie ihnen schenkte, bevor sie starben. Zahllose Stunden hatte sie an den Betten der Aidskranken verbracht, unermüdlich arbeitete sie, seit das Virus in den frühen achtziger Jahren zum ersten Mal aufgetaucht und ihre Nemesis, ihre Besessenheit und Leidenschaft geworden war.
Jeden Abend fühlte sie sich völlig ausgelaugt, kaum noch irgendwelcher Emotionen fähig. Dann gab es nur noch einen einzigen Menschen, dem sie etwas bieten konnte – ihre Tochter. Sie versuchte möglichst viel Zeit mit Jade zu verbringen und fuhr manchmal sogar in der Mittagspause nach Hause. Am Anfang hatte sie das Kind in die Klinik mitgenommen und das Babykörbchen ins Sprechzimmer gestellt. Aber seit Jade laufen konnte, klappte das nicht mehr.
An diesem Tag wollte sie gerade den Heimweg antreten, als Dr. Sam Warner zu ihr kam, derzeit der einzige Arzt, der sie gelegentlich unterstützte. Seit dem gemeinsamen Medizinstudium an der Stanford University war sie mit dem netten, tüchtigen Mann befreundet. Früher hatte sie geglaubt, er wäre in sie verliebt, hatte aber seine Gefühle ignoriert und sich ausschließlich auf ihre Arbeit konzentriert. Und er hatte auch nichts unternommen. Um seine Assistenzzeit in einer Klinik zu absolvieren, zog er nach Chicago, und sie verloren sich für eine Weile aus den Augen – lange genug, dass er heiratete. Wenig später wurde die Ehe geschieden. Als er nach Kalifornien zurückkehrte, sahen sie sich wieder und nahmen die alte Freundschaft wieder auf. Andere Gefühle kamen nicht mehr ins Spiel. Sie waren gute Kameraden, und Sam arbeitete gern in der Aids-Klinik, um Zoe zu entlasten.
»Wie läuft's hier? Seit Wochen habe ich dich nicht mehr gesehen.« Während sie ein paar Papiere wegräumte, steckte er den Kopf durch die Tür des Sprechzimmers. Er sah wie ein großer, freundlicher Teddybär aus, mit braunen Augen und stets zerzaustem braunem Haar. Obwohl er sich um seine äußere Erscheinung bemühte – er wirkte immer ein bisschen schlampig. Aber Zoe wusste, wie gut er mit den Patienten umgehen konnte, mit Erwachsenen und Kindern gleichermaßen, und er war der einzige Aushilfsarzt, dem sie vertraute. »Nimmst du dir niemals frei?«, fragte er besorgt. Er sprang abwechselnd für verschiedene Ärzte ein, war also hauptberuflich Aushilfsarzt und betrieb keine eigene Praxis. In Zoes Klinik arbeitete er am liebsten. Sie hatte alles fest im Griff, und er bewunderte ihr Engagement auf einem so schwierigen Spezialgebiet.
»So selten wie möglich«, beantwortete sie seine Frage. »Sonst sind mir die Patienten böse.« Obwohl sie Sam mochten, wollte sie ihre Schützlinge nicht im Stich lassen. Regelmäßig absolvierte sie eine Visite im UC Hospital, betreute die Patienten in ihrer eigenen Klinik, und manche Kranke besuchte sie auch zu Hause, sogar an Sonntagen.
»Aber du musst dich mal ausruhen«, mahnte er und beobachtete, wie sie ihren weißen Kittel in den Wäschekorb warf. »Außerdem brauche ich das Geld, das ich hier verdiene«, fügte er grinsend hinzu.
»Das Honorar fürs letzte Mal bin ich dir noch schuldig, nicht wahr? Meine neue Buchhalterin ist eine Katastrophe.« Seufzend lächelte sie ihn an. Er wartete immer sehr geduldig auf die Bezahlung, was er sich leisten konnte, da er aus einer wohlhabenden Familie im Osten stammte und finanziell unabhängig war. Doch er ließ sich seinen Reichtum nicht anmerken, fuhr ein verbeultes altes Auto, trug schlichte Kleidung, meistens Jeans und Sporthemden, und seine geliebten Stiefel sahen so aus, als hätten schon zehntausend Cowboyfüße drin gesteckt.
»Gibt's was Neues in deiner Klinik?« Er blieb gern auf dem Laufenden, um sich rechtzeitig vorzubereiten, wenn er für Zoe einspringen musste, und das nur, wenn sie krank war oder ausgehen wollte. In letzter Zeit kam das nicht mehr vor. Tagsüber war sie zu beschäftigt, abends zu müde, und sie blieb am liebsten zu Hause bei ihrer Tochter. Wenn sie ein
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