Die Ranch
Rendezvous hatte, wozu sie sich gelegentlich aufraffte, nahm sie ihren Piepser mit und war in Notfällen stets erreichbar. So konnte es passieren, dass sie ein Theater mitten in einer Aufführung verließ oder aus Restaurants rannte, bevor sie einen einzigen Bissen gegessen hatte. Deshalb war sie für Männer keine besonders aufregende Gesellschaft, aber eine verdammt gute Ärztin.
»Nicht viel«, erwiderte sie und wechselte ihre Schuhe. »Im Augenblick müssen wir sehr viele Kinder behandeln.« Die meisten dieser kleinen Patienten hatten sich während der Schwangerschaft bei ihren Müttern angesteckt.
»Wenn du gegangen bist, schaue ich mich mal um.« Er konnte jederzeit die Krankenblätter studieren. Vor Sam hatte sie keine Geheimnisse. »Gib Jade einen Kuss von mir.«
»Danke.« Lächelnd nickte sie ihm zu, verließ die Klinik und schaute auf ihre Uhr. Nun musste sie sich beeilen. An diesem Abend hatte sie ausnahmsweise eine Verabredung. Es war Viertel vor sieben, und Richard Franklin würde sie um halb acht abholen. Vor zwei Jahren hatte sie den renommierten, auf Brustkrebs spezialisierten Chirurgen bei einem Ärztekongress kennen gelernt. Er ärgerte sich über das Medieninteresse an Aids und betonte, an Brustkrebs würden viel mehr Frauen sterben. Deshalb müsse man größeren Wert auf die Krebsforschung legen. Natürlich widersprach Zoe, und aus dieser lebhaften Debatte hatte sich eine interessante Freundschaft entwickelt. Seither gingen sie öfter miteinander aus. Sie genoss seine Gesellschaft, und er faszinierte sie, aber er war nicht der Typ, in den man sich verliebte. Früher hatten ihr andere Männer sehr viel bedeutet, jetzt fand sie keine Zeit für tiefere Gefühle – schon lange nicht mehr. Der letzte Mann, den sie geliebt hatte, war vor zehn Jahren nach einer Bluttransfusion an Aids gestorben, und mit dem Vermögen, das er ihr hinterlassen hatte, gründete sie ihre Klinik. Danach traf sie noch zwei oder drei nette, liebenswerte Männer, aber keiner war ihr so wichtig gewesen wie er. Und kein Einziger hatte jemals Heiratswünsche in ihrem Herzen geweckt. Richard Franklin ganz sicher auch nicht.
Sie fuhr in ihrem alten VW-Bus nach Hause, den sie nach Jades Adoption erworben hatte. Manchmal benutzte sie ihn, um Patienten zu transportieren, oder für Fahrgemeinschaften. Nahe dem UC Hospital und dem Wald von Edgewood hatte sie ein schönes altes Haus erworben. Sooft wie möglich ging sie mit Jade im Wald spazieren. Die Fenster ihres Wohnzimmers boten eine spektakuläre Aussicht auf die Golden Gate Bridge und die Marin Headlands. Als sie die Haustür aufsperrte, hörte sie Jade aufgeregt schreien. »Mommy!« Zoe hob das kleine Mädchen hoch und drückte es an sich. Lebhaft erzählte Jade von einem Hund und einem Hasen und Rosinen und der Spielgruppe. Alles konnte Zoe nicht verstehen, aber sie wusste, was das Kind meinte. »Aaase, Mommy!«, rief Jade und klatschte in die Hände. Offenbar hatte sie den Hasen des Nachbarn besucht. »Aaase!«
»Ja, ich weiß. Vielleicht kaufen wir mal einen.« Zoe stellte das Kind in der Küche auf die Beine und kostete von seinem Dinner, einem Hamburger mit Reis, den das dänische Au-Pair-Mädchen Inge zubereitet hatte. Besonders gut schmeckte das Essen nicht, war aber nahrhaft. Während Jade eine rohe Möhre, an der sie gerade knabberte, durch die Luft schwenkte, rannte Zoe in ihr Schlafzimmer hinauf. Sie wollte sich möglichst schnell umziehen und dann noch ein paar Minuten mit dem Kind verbringen, bevor Dick Franklin eintreffen würde. Sie ging ungern abends aus – weil sie dann auf die Gesellschaft ihrer Tochter verzichten musste. Aber sie entschloss sich ohnehin nur selten dazu.
Zwanzig Minuten später eilte sie die Treppe hinab. In einem langen schwarzen Samtrock und einer weißen Spitzenbluse glich sie einem alten Ahnenporträt. Sie hatte ihr rotes Haar gebürstet und geflochten. So wie auf dem College trug sie immer noch einen langen Zopf, der am Rücken hinabhing.
»Übsche Mommy!«, krähte ihre Tochter, und Zoe zog sie lächelnd auf ihren Schoß. Wie müde sie war …
»Danke, Jade. Und wie geht's meinem großen Mädchen heute?« Das Kind schlang die Arme um ihren Hals. Nur das zählte im Leben. Keine aufregenden Abenteuer, kein Glamour, nicht einmal Geld oder Erfolg – und sicher nichts von den Dingen, die Tanya erwähnt hatte. Für Zoe waren Gesundheit und Kinder am wichtigsten. Das führte ihr die Arbeit in der Klinik täglich vor Augen.
Eine Zeit
Weitere Kostenlose Bücher