Die Ratten im Maeuseberg
Bei
diesem Coup war Ferrand nicht dabei. Jedenfalls konnte man ihm nichts beweisen.
Vor fünf Jahren dann hatte er eine ebenso lange Strafe kassiert. Seit ein paar
Monaten lief er wieder frei rum.
Ich ging zurück in meine
Wohnung, Zeitungen in der Hand, Pfeife im Mund. Schon klingelte wieder das
Telefon. Hélène, meine Sekretärin.
„Hallo, Chef! Fragte mich, wo
Sie stecken“, sagte sie.
„Das fragen Sie sich aber
ziemlich oft, mein Schatz.“
„Was dagegen?“
„Dumme Gans! Haben Sie brav in
den Archiven gewühlt?“
„Ja. Und Zeitung hab ich auch
gelesen. Die von heute morgen. So hat man also Ferrand gefunden! Haben Sie
nachgeholfen?“
„Seien Sie um Gottes willen
etwas vorsichtiger! Vielleicht wird das Telefon abgehört! ... Sehe ich aus wie
ein Araber?“
„Nein, stimmt. Und Madame
Courtenay?“
„Wie die aussieht, sag ich
Ihnen besser nicht! Das haben Sie doch auch gelesen, oder? Werd’s Ihnen lang
und breit erzählen.“
„Kommen Sie schnell!“
„Aber nicht ins Büro. Florimond
Faroux hat mich schon angerufen. Wenn der erfährt, daß ich Ferrand häufiger
getroffen habe und wir so was wie alte Bekannte waren, hab ich keine ruhige
Minute mehr. Er wird hier anrufen, im Büro, wird mir seine Leute auf den Hals
schicken. Ganz zu schweigen von Marc Covet.“
„Der hat schon dreimal
angerufen.“
„Sehen Sie! Von denen kommt
sowieso nichts Gescheites, nur Ärger! Ich werd besser mein Büro nach draußen verlegen, vorübergehend. In den Parc Montsouris oder auf eine
Café-terrasse. Das schöne Wetter wird nicht mehr lange dauern! Also, kommen Sie
mit Ihren Informationen ins Babel, Boulevard Jourdan. Ganz in der Nähe von
Gaudeberts Wohnung. Macht aber nichts. Dem kann ich jetzt sowieso nicht mehr
erzählen, daß ich auf dem Postamt Wache schiebe. Er hat bestimmt aus der
Zeitung von Ferrands Tod erfahren. Wie alle.“
„Genau, auf...“
„...bald.“
Ich fuhr zum Babel. Kurz darauf
kam Hélène; in einem hocheleganten Kleid, das ich noch nicht kannte.
15.
Das letzte Opfer der Ratten
Schweigend gingen wir in den
Park. Unter den leblosen Blicken der Statuen auf dem Rasen und den
gleichgültigen der städtischen Angestellten, die den Durst des Rasens löschten,
schlenderten wir zum See.
Ich schilderte meiner
Sekretärin die Tragödie der armen Marie Courtenay.
„War’s tatsächlich Selbstmord?“
fragte Hélène.
„Ein Selbstmord, bei dem eine
Frau in Stücke gehackt wird“, antwortete ich lachend.
„Kaum zu glauben!“
„Eben! Man hat eine unbequeme
Zeugin aus dem Weg geräumt. Marie hat Ferrand nicht getötet. Sie war nicht mal
dabei. Aber sie hätte wertvolle Hinweise liefern können. Der oder die Mörder
haben ihre Spur verfolgt...“
„Wie denn?“
„Ach, das war sehr einfach.
Marie kannte wohl nie oder doch nur höchst selten die Namen ihrer
Zufallsbekanntschaften. Vielleicht mal hier und da einen Vornamen, mehr nicht.
Aber die Männer wußten bestimmt, mit wem sie’s zu tun hatten. Alles Leute, die
in den Taschen anderer rumwühlen. Sozusagen ein angeborenes Bedürfnis. Und auf
ihren Ausflügen hatte Maria Magdalena ihre Handtasche dabei. Aber als sie in
der Nacht aus dem Abbruchhaus wegrannte — nackt, verrückt vor Angst, weil sie
gerade über eine noch warme Leiche gestolpert war — , da hat sie ihre Tasche zurückgelassen. Außer Fotos war bestimmt ein Ausweis
oder sonst ein Hinweis auf ihren Namen und ihre Adresse drin. Neulich hab ich
einen Kerl überrascht, der Courtenays Haus beobachtete. Leider ist er mir
entwischt, sonst lebte Marie vielleicht noch. Der Kerl wollte sie
wahrscheinlich abpassen. Aber an dem Abend hatte der Maler seine Frau aufs Land
gebracht. Was danach passierte, ist zum Teil auch meine Schuld. Courtenay hat
Marie nach Paris zurückgeholt, weil ich mit ihr reden wollte. Und der Kerl...“
Ich schwieg.
„Und der Kerl?“ ermunterte mich
Hélène.
„Von da an bin ich auf
Vermutungen angewiesen. Aber ich bin davon überzeugt, daß es folgendermaßen
abgelaufen ist: Der Kerl ist noch mal wiedergekommen. Es ist aber niemand da.
Er schleicht sich durch den Lieferanteneingang rein. Vielleicht, um was zu
suchen — was, weiß ich nicht — , vielleicht, um auf
die Bewohner zu warten. Kommt Marie alleine zurück — um so besser. Sie kommt aber nicht alleine. Dafür geht sie alleine in ihr Zimmer, um
sich auszuruhen. Der Maler verschwindet in seinem Atelier. In Maries Zimmer
wartet schon der böse Bube. Hat sich gesagt, daß hier die
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