Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
schwitzte davon immer noch. Ihre Haut war ganz vernarbt, aber dennoch würde sie zwei Tage lang nicht laufen können, und ihr Arm würde erst in dreien wieder für einen Kampf taugen. Für solche Wunden war das eine außergewöhnlich kurze Genesungszeit! Aber das junge Mädchen fand, dass das kaum hinreichte, um in vier Tagen die Gelegenheit zu nutzen, in die Burg einzudringen.
Estelle betrat das ruhige Zimmer. Sie war im achten Monat schwanger und wurde von Tag zu Tag unförmiger. Langsam wurde es schwierig, die Seitenbänder ihres geschlitzten Kittels zuzuknoten. Mit fünfundzwanzig Jahren war sie zum dritten Mal schwanger und strotzte vor Gesundheit; Vic hatte ihr schon heimlich gesagt, dass sie den unregelmäßigen Herzschlag von Zwillingen gehört hatte.
Vic mochte die freundliche Frau mit den halblangen, braunen Haaren und dem sehr ausgeprägten mütterlichen Instinkt besonders gern. Eine Schwester, die sie in ihren sechs ersten Lebensjahren gemeinsam mit ihrem Bruder Ceban verhätschelt hatte. Eine echte Familie.
Estelle wischte Vic zärtlich die Stirn ab. Sie war eine der drei Personen, die das Geheimnis ihres Vornamens kannten, und würde dieses Tabu nie brechen können: Sie war der jungen Frau mit Herz und Seele ergeben, denn sie verdankte ihr so viel: Ihr Eheglück, ihr Leben an diesem paradiesischen Ort, die Geburt ihrer beiden Söhne und vor allem die Freude, die Vic der kleinen Bande im Verbotenen Wald tagtäglich schenkte.
Obwohl die letzten fünfzehn Tage schwierig und frustrierend gewesen waren, würde Estelles Schwester Leiland den Frieden zurückbringen, davon war sie überzeugt. Sie bewunderte sie aus tiefster Seele.
Eine kleine Maus huschte aus dem Ärmel ihres Jäckchens hervor, setzte sich auf den Bauch der Kranken und richtete sich auf die Hinterbeine auf, wobei sie ihren dünnen Schwanz krümmte und die spitze Schnauze vorstreckte. Diese Position konnte die Maus nicht davon abhalten, sich mit kleinen, geschickten Bewegungen die Nase zu reiben.
»Na, wie fühlst du dich? Ist der Schmerz vergangen?«, fragte das kleine Nagetier besorgt und zuckte mit den langen, sauberen Schnurrhaaren.
»Ja. Ich spüre nichts mehr. Ich habe das Gefühl, leer zu sein, völlig leer.«
»Nach einem solchen Schrei ist das ja auch nicht erstaunlich!«, antwortete das Tier mit einer für ein solch niedliches und winziges Geschöpf erstaunlichen Härte. »Zum Glück bist du gleich danach ohnmächtig geworden – sonst hättest du noch die ganze Umgebung bis hin zum Palast in Aufruhr versetzt!«
»Oh, Joran! Das hat sie doch nicht mit Absicht getan!«, rief Estelle. »Die Schmerzen müssen fürchterlich gewesen sein! Hast du ihre Wunden gesehen?«
»Warum musstest du auch diesem Mann so viele Sachen schenken, bevor wir aufgebrochen sind?«, gab Joran zurück, ohne Estelle zu beachten. »Wenn du das nicht getan hättest, hättest du nicht solche Schwierigkeiten gehabt, den Schmerz auszuhalten! «
Vic antwortete nicht, sondern musterte die Decke. Joran würde nie begreifen, was das Wort Dankbarkeit bedeutete. Estelle strich Vic wieder mit der Hand über die Stirn und wandte der kleinen, so strengen Maus den Rücken zu.
»Willst du, dass ich bei dir bleibe? Es macht Sten gar nichts aus. Wir machen uns alle große Sorgen um dich.«
»Nein«, antwortete das Mädchen mit einem leichten Lächeln. »Geh zu deinem Mann und deinen Kindern zurück. Ich werde schlafen. Quält euch nicht meinetwegen. Beruhige alle. Die Maske liegt nicht im Sterben, sondern gönnt sich nur ein paar Tage Ruhe.«
Estelle vermochte sehr gut in den nachtblauen Augen zu lesen. Vic wollte sich stark und vertrauenerweckend zeigen, aber diese paar Tage Ruhe waren eine neuerliche Niederlage.
»Ihr habt in letzter Zeit in zu vielen Kämpfen aufgeben müssen. Die Utahnsaugen sind der beste Trumpf, über den Korta je verfügt hat. Aber sie fürchten Erwan. Ich bin sicher, dass er einen Weg finden wird, sie endgültig in die Flucht zu schlagen.«
Sie gab ihrer stillen Schwester einen langen Kuss auf die Stirn und ging dann lautlos.
Joran hatte die Gestalt eines wunderschönen weißen Angorakaters angenommen und sich trotz aller Vorwürfe auf der Daunendecke zu einer Kugel zusammengerollt und an die Kranke geschmiegt. Er bedeutete Vic sehr viel. Die kleine Familie im Verbotenen Wald war seit der Geburt der jungen Frau gewachsen, aber obwohl er immer noch eher Gebieter und Mentor als Vater war, nahm Joran einen ganz besonderen Platz in ihrem
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