Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
weitere Tage lang nicht rühren kannst? Oder sogar noch länger? Hast du an diese Möglichkeiten gedacht?«
Er hatte einen wunden Punkt berührt.
»Weißt du eine bessere Lösung, oder stiehlst du mir nur weiter die Zeit, während sie schon eintreffen?«
»Ja … Du wirst mir ein schwarzes Hemd, ein Tuch und deine Maske geben.«
»Bist du verrückt?«
»Du hast keine Wahl«, sagte er bestimmt. »Und du kannst es tun, das ist … weniger als ein Umhang.«
»Das ist nicht das Problem.«
Er hatte sich schon das Hemd ausgezogen und warf es beiseite. Mit ungeduldigem Blick streckte er ihr die geöffnete Hand hin. »Los, beeil dich, eine Entscheidung zu fällen. Sie kommen näher. Ich höre Rufe.«
Die Vögel hatten inzwischen alle geweckt, und die Dorfbewohner bemerkten endlich den Grund für ihre Aufregung. Etwa dreißig Soldaten näherten sich von Osten.
Victoria gab nach. Sie hob die Hand an ihre Kette und schloss die Augen, da sie die kurzfristige Blendung vorausahnte. Sie ließ ein Hemd und ein Tuch erscheinen und warf beides Andin zu. Ihr Pferd pfiff sie so wacker herbei wie ein Gassenjunge. Dann setzte sie sich in der Ecke auf ein Heubündel. Sie war gereizt oder vielmehr gekränkt: Es gefiel ihr nicht, in die Reihen der Nutzlosen verbannt zu werden. Außerdem sorgte sie sich um Andin. Unauffällig sah sie zu, wie er sich ankleidete. Die Formen seines Rückens, der von der Sonne seines Landes gebräunt war, beruhigten sie. Gekonnt eingesetzt würde seine Muskulatur ihm wohl gestatten, mehr als einen Soldaten aufzuhalten.
Andin zog zuletzt seine Stiefel an und trat auf sie zu. Mit beiden Händen an ihrem Körper beugte er sein Gesicht über ihres. »Greif nicht ein, bitte. Ich hatte ebenfalls einen sehr guten Waffenmeister. «
Sie spürte, wie sie schwach wurde, und murmelte nur: »Komm den Scylen nicht zu nahe. Überlass es Erwan, sich um sie zu kümmern.«
Er stimmte mit einer kleinen, verständnisvollen Kopfbewegung zu.
»Darf ich die Maske haben?«, bat er.
Sein Blick brachte sie vollkommen aus der Fassung. Sie legte ihm die Amalyse aufs Gesicht und ließ sie rasch schwarz werden.
»Danke«, lächelte er und schob mit den Fingern einige zerzauste Haarsträhnen hinter Victorias Ohren.
Seine Hand glitt an den Hals der jungen Frau; er zog sie zu sich heran und drückte ihr die Lippen auf den überraschten Mund. Kaum, dass sein schlauer Diebstahl gelungen war, floh er und hastete die Leiter hinab.
»Du musst mir irgendwann erklären, wie die Amalyse schwarz bleibt!«, rief er, als sei nichts geschehen.
Er sprang auf Zarkinn und ritt wie ein Wilder davon, um zu den anderen Kämpfern zu stoßen. Seine Lippen trugen eine Frische, die ihm Flügel verlieh. Er fühlte sich in der Lage, dreißig Mann auf einmal niederzustrecken und noch dazu das Ungeheuer des Verbotenen Waldes! In einem halsbrecherischen Tempo durchquerte er das Dorf.
Joran suchte Elea, als er die Maske sah. Er hatte die ganze Nacht über bei der Hexe Imma gewacht und machte sich nun an die Verfolgung, ohne seinen Irrtum zu bemerken. Er tauchte in Höhe von Andins Schulter auf.
»Vic!«, schimpfte er. »Du kannst nicht kämpfen! Bist du noch bei Sinnen? Denk an Tanin!«
»Sie war so klug, in der Scheune zu bleiben«, verkündete Andin und hob die Amalyse an. »Warum benutzt niemand je ihren echten Vornamen?«
Er lächelte Joran schelmisch an und winkte ihm zu, als er davonritt.
Joran glaubte, den Verstand zu verlieren. Er spürte, wie Fieber in ihm aufwallte. Dieser Schönling trieb ihn zur Verzweiflung! Er hatte nicht übel Lust, ihn zu töten! Seine gelben Augen hatten eine rote Färbung angenommen. Dennoch holte er tief Atem, während er die Klauen zusammenkrallte: Im Augenblick hatte er keine Möglichkeit, sich seiner zu entledigen. Aber er konnte abwarten, bis der junge Mann sich dem Verbotenen Wald näherte. Indem er seine Verbitterung in sein tiefstes Inneres zurückdrängte, flog er auf die Scheune zu. Er hatte mit Elea noch ein Hühnchen zu rupfen!
Das arme Mädchen hatte noch immer die Finger auf die Lippen gepresst, wie um den flüchtigen Kuss festzuhalten. Sie war noch nicht wieder zu sich gekommen, als Joran in Chimärengestalt ruppig hereingestürmt kam.
»Was tust du hier?«, brüllte er. »Warum trägt dieser Mann deine Kleider? Was ist heute Nacht geschehen?«
»Nichts … nichts …«, antwortete sie und kehrte abrupt in die Wirklichkeit zurück.
»Diese Lüge glaube ich nicht, so ertappt, wie du
Weitere Kostenlose Bücher