Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
bestens dazu geeignet, der Ort des nächsten Kampfes zu werden. Der Junge mit dem Buch fragte sich besorgt, wo das Böse wohl war. Dass es so nahe sein könnte, hätte er sich nie träumen lassen.
Die Prinzessinnen vom Etelberg
Was für ein Lärm! Welch geschäftiges Treiben, wie viele Geräusche! Wie die Stille der Großen Ebene Andin fehlte!
Da sie von Aces her gekommen waren, hatten seine Stute und er die Fünf Flüsse nicht überqueren müssen. Sie hatten die letzten Meilen, die sie vom Palast trennten, in tiefer, ländlicher Ruhe zurückgelegt. So wurde der Ritt durch die Straßen von Etel, der Hauptstadt von Leiland, eine ohrenbetäubende Erfahrung, besonders angesichts der späten Stunde. Sie waren umgeben von Menschenmengen, Schreien, Betteleien, Karren, die die Straßen blockierten, Beleidigungen und Rempeleien, und stapften durch dicken Schlamm, der jedes Mal, wenn Pferde vorbeikamen, an den Mauern hochspritzte. Nis befand sich in einem traurigen Zustand; das laute Treiben schien ihr überhaupt nicht zu gefallen.
Andin hatte den Eindruck, sich außerhalb der Zeit und jenseits dieses Lebens zu befinden: Er sah losgelöst zu, wie die Leute um ihn herumhasteten. Mit einem Ohr lauschte er einem Troubadour, der sehnsüchtig ein Klagelied sang.
Die Eteler waren nicht so arm wie manche Einwohner der großen Ebene, aber Andin fand die Stadt dennoch nicht besonders vom Glück begünstigt. Ihr Schmutz, die Unordnung auf ihren Straßen und die Entbehrungen, die manche Leute litten, bewiesen es ihm. Der Schuft Korta hatte Etel nicht dem Erdboden gleichgemacht, aber hinter den hohen Befestigungsmauern, die er hatte bauen lassen, war die Schönheit der Landschaft nur noch zu erahnen.
Doch jenseits der überhängenden, grauen Dächer ragte ein majestätisches Bauwerk auf, das diesem Elend mit Verachtung und Gleichgültigkeit begegnete. Aus hundert Türmen verschiedenster Größe zusammengesetzt, die alle über ein spitzes Dach verfügten und von Raben umflattert wurden, ragte die Königsburg in den Himmel. Gespickt mit Spitztürmchen, Dachreitern und Zinnen ähnelte sie einer Königskrone in kunstvollster Goldschmiedearbeit. Sie war aus weißen und schiefergrauen Steinen errichtet; ihre makellose Schönheit kontrastierte mit der sonst herrschenden Armut.
Ungewöhnlicher Trubel erregte Andins Aufmerksamkeit. Eine Menschenmenge hatte sich an der Ecke des Gässchens zusammengedrängt. Alle Gaffer sahen nach oben und stießen Rufe aus. Der junge Mann wäre wahrscheinlich vorbeigeritten, ohne mehr Interesse darauf zu verschwenden, aber sein Blick fiel auf das Objekt all dieser Begeisterung.
Mein Geckenstolz!
Der Vogel saß auf dem knarrenden Schild eines Hufschmieds und putzte sich ungeniert. Auf der neuesten Schmiedearbeit der Stadt genoss er die Aufregung, die seine Anwesenheit hier hervorrief – so wie in allen Ländern, die sein Herr durchstreifte: Geckenstolze erfreuten sich großer Bewunderung. Sie waren nur in Pandema heimisch. Man sagte ihnen glückbringende Kräfte nach und erzählte sich, dass jeder, der einen dieser magischen Vögel gesehen hatte, hoffen konnte, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen würde.
Andin pfiff nach seinem wichtigtuerischen Vogel. Dieser flog sofort auf, ließ sich aber erst auf der Schulter seines Herrn nieder, nachdem er einen letzten großen Kreis über seine ekstatischen Bewunderer gezogen hatte. Seine großen, roten Schwanzfedern krümmten sich um Andins Arm. Er ließ sich die Botschaft abnehmen, die sein Bein schmückte, und freute sich über die Liebkosung, die ihm zum Dank zuteil wurde. Der Stute war diese Untreue nicht recht – sie bockte.
»Sachte, Nis, sei nicht eifersüchtig, er fliegt ja schon wieder weg«, beruhigte Andin sie amüsiert.
Da der Geckenstolz zwar ein eitles, aber auch ein gehorsames Tier war, stieg er wieder in den Himmel auf und verschwand.
»Du solltest zufrieden sein, meine Schöne, jetzt wirst du nicht mehr angerempelt werden.«
Andin hatte recht. Nun wich man vor ihm beiseite. Der junge Mann war die theatralischen Auftritte seines Vogels gewohnt und machte sich keine Gedanken mehr darum. Er beschränkte sich darauf, die Botschaft zu lesen, ohne den staunenden Blicken Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm von nun an folgten.
Prinz Cedric verging vor Ungeduld und hatte sich bei der Lektüre von Andins Brief nicht davon abhalten können, ein wenig mehr von Leiland zu träumen: Er drängte ihn, zur königlichen Burg zu eilen und mit einer
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