Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
bekannt gemacht worden ist. Ich mache Euch zur unangefochtenen Königin von Leiland. Ich verkünde, dass Eure Hand nicht mehr im Tausch gegen den Kopf der Maske zu erringen ist. Nach allem, was ich über jenes ungestüme junge Mädchen erfahren habe, wäre es von meiner Seite ein noch größeres Verbrechen, sie zu verfolgen. Aber das wisst Ihr alles sicher schon.
Verbindet Eure Klugheit mit ihrem Gerechtigkeitssinn. Da sie ein Kind der Angst ist und nichts über ihre Herkunft bekannt ist, habe ich geträumt, dass sie Eure zweite Schwester sein könnte. Fragt nicht, wie ich auf den Gedanken kommen konnte, es wäre zu schmerzlich für mich, Euch das zu erklären. Gönnt mir in der Abenddämmerung meines Lebens diese letzte Trugvorstellung! Prinzessin Eleas Verschwinden hat das Land ins Unglück und ins Elend gestürzt, ihre Rückkehr wäre das Symbol des Glücks.
Ihr müsst mich für verrückt halten. Ich bin ein alter Narr, der heute Abend seine letzte Torheit begehen wird.«
»Nein, Vater, Ihr wart niemals verrückt«, antwortete Eline, als ob sie mit ihm sprechen könnte. »Die Maske ist wirklich Elea, meine Schwester und Eure dritte Tochter. Und ich bete um ihr Leben ebenso sehr wie um Eures.«
Eline presste sich den Brief an die Brust und eilte in Gedanken ganz wie Thalan in die Gemächer des Königs. Der Junge hatte die oberen Stockwerke der Burg erreicht und lief nun durch die überdachten Gänge, während Wolfsgeheul von draußen hereindrang. Angst schnürte ihm die Kehle zusammen. Er rannte die teppichbedeckten Treppenstufen begleitet von den Oktaven des fernen Heulens hinauf. Das Ende seines Laufs war so nahe wie das der scheußlichen Sätze:
»Ich habe nur Angst, dass Eure Schwester Elisa sterben könnte. Werdet Ihr die Zeit finden, sie zu heilen? Ihr habt ihr schon sechs Jahre Eures Lebens geopfert, ich kann nicht zulassen, dass Ihr es ganz verliert. Der Herzog von Alekant hätte sie niemals geheilt. Sogar unter der Folter hätte er Euch niemals das Heilmittel verraten. Wahrscheinlich werden die Ärzte ein Gegengift finden, sobald der Herzog tot ist. Es wird sicher auch weniger Todesfälle und Vermisste geben. Ich hatte dem Großen Heiler Oudal in den Schwarzen Landen eine Botschaft geschickt. Schreibt ihm noch einmal, ich bin überzeugt, dass er meinen Brief nie erhalten hat.
Seid frei, meine Tochter, und wenn Ihr noch vor dem nächsten Mond heiratet, werde ich nicht empört darüber sein, im Gegenteil. Ich will nicht den Schatten der Farbe Schwarz auf Euren Kleidern sehen. Vergebt mir alles, was ich Euch angetan habe, vergebt mir alles, was ich nicht ändern konnte. Und wenn Euer Lachen zum Himmel aufsteigt wie einst das Eurer Mutter, dann stellt Euch vor, dass jenseits der Wolken ein Mann zu Euch herabschaut und lächelt, wenn Ihr glücklich seid. Vielleicht werde ich an der Seite meiner Königin über Euch wachen können? Ich habe Onemie jetzt so viel zu erklären.
Lebt wohl, mein Kind. Mögen meine letzten Gedanken Euch begleiten, ganz gleich, wo Ihr seid.
Euer Vater.«
»Nein, verlasst mich nicht!«, rief Eline unter Tränen. »Ich brauche Euch!«
Aber mit dem Ende des Briefs verging auch die Hoffnung. Die arme, kleine Prinzessin, die fern von allem in einem düsteren Kerker eingesperrt war, begann nach ihrem Vater zu rufen wie ein Kind, das sich in einem zu großen Universum verlaufen hatte. Zusammengekauert sah sie zu der wurmstichigen Holzdecke auf, ohne sie recht zu sehen. Sie schrie ihren Schmerz mit derselben Verzweiflung heraus, die Thalan im selben Augenblick dazu trieb, an die Tür des königlichen Schreibzimmers zu hämmern.
Durch den Türspalt drang Licht, aber der Herrscher antwortete nicht. Thalans Rufe konnten Seine Majestät nicht mehr wecken. Der König war auf dem Boden zusammengebrochen: In der Hand hielt er das Medaillon mit der Porträtskizze der Königin. Seine wolkengrauen Augen hatten sich in Richtung der Sterne verdreht, die hinter den kleinen, rautenförmigen Fensterscheiben funkelten. Kein Licht konnte sie mehr erhellen.
Draußen verstärkte sich das Wolfsgeheul und begleitete den Wind, der über die Wälder und das offene Land hinwegfegte. Die Monde waren an diesem Abend nicht voll, aber der düstere, tiefgründige Gesang beklagte respektvoll den Tod zweier Könige.
Siebter Teil
Verlassen
Der junge Reisende hatte in der Nacht kein Auge zugetan. Vielleicht eine böse Vorahnung. Er hatte sich tausend Mal in seinem Bett hin und her gewälzt und sich in die Decken
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