Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
Gestalt zu Füßen eines dichten Holunders. Imma wirkte einsam und unglücklich. Andin zog Nis’ Sattelgurt fest. Er hatte keine Zeit, sich um den Kummer der blinden Hexe zu kümmern. Sein Vater hatte sich in seinem Brief sehr deutlich ausgedrückt: Er war in Eile! Doch er konnte nicht einfach auf seine Stute steigen, ohne mit der jungen Frau gesprochen zu haben. Sie war damit beschäftigt, die Hände in einem monotonen Rhythmus vor ihrem Gesicht hin und her zu führen, und zuckte zusammen, als Andin sich näherte.
»Was tust du da so einsam und allein?«, fragte Andin.
»Ich bin einsam und allein«, bestätigte Imma leise.
»Was willst du damit sagen?«, fragte er besorgt und hockte sich vor ihr hin.
»Nichts. Vergiss es.«
»Wenn ich überhaupt stehen geblieben bin, dann, um eine Antwort zu erhalten.«
»Warum? Bist du in Eile?«
»Ja, ich muss nach Akal zu meinem Vater. Erinnerst du dich an meinen Auftrag? Du hast mir doch gesagt, dass ich ihn nicht vergessen soll. Na ja, ich habe ihn nicht ordentlich ausgeführt.«
»Akal?«, fragte die Hexe überrascht und streckte, begierig auf Erklärungen, die Hände aus.
»Statt mit der Antwort des Königs von Leiland zu ihm zurückzukehren, habe ich die Botschaft mithilfe meines Geckenstolzes an meinen ältesten Bruder geschickt. Ich war überzeugt, dass Cedric bei meinem Vater wäre. Aber ich habe gerade erfahren, dass er sich zurzeit jenseits des Binnenmeers in den Gänseländern befindet. Er stellt Nachforschungen über pandemische Schiffe an, die Schmuggel betreiben! Wenn er wüsste, dass er sie hier, auf der Verlorenen Insel, suchen müsste! Jedenfalls wird meine Botschaft zu spät eintreffen, und mein Vater ist außerdem nicht zufrieden damit, dass ich eine so wichtige Mission einem Vogel anvertraut habe.«
Die Hexe lächelte über seine Aufrichtigkeit und seine Gereiztheit, aber ihre Heiterkeit verflog, als er sie seinerseits bat, seine Frage zu beantworten. Sie wandte den Kopf ab.
»Es ist nichts, das sage ich dir doch!«
»Imma, ich habe dir geantwortet. Und indem ich dir die Hände gereicht habe, habe ich bewiesen, welches Vertrauen ich in dich setze. Sei nun deinerseits ehrlich.«
Imma senkte den Kopf. Sie war plötzlich verlegen und kam sich lächerlich vor.
»Es ist ja nur so, dass Joran gewöhnlich bei mir ist«, gestand sie ein wenig verschämt.
»Aha!«
»Oh, sag das doch nicht so! Ich fühle mich allein, das ist alles. Und vielleicht ist es besser so.«
»Hm.«
»Ich weiß, was er mir von Anfang an zu verheimlichen versucht hat«, gestand sie plötzlich. »Als wir aus den Höhlen zurückgekehrt sind, habe ich euch reden hören. Ich habe nicht geschlafen.«
»Oh.«
»Sag mir eines… Hat er genauso viele Schandtaten wie Korta begangen? Er ist doch jetzt ein Ungeheuer, nicht wahr?«
»Es steht mir nicht zu, dir zu antworten, Imma.«
»Er ist kein Mensch, und er war einst ein Tyrann: Man kann ihn doch nicht lieben, nicht wahr?«
»Er hat getan, was er getan hat, er ist, was er ist, aber niemand kann sagen, was er noch tun oder sein wird.«
Andin war selbst über seine Antwort erstaunt. War es denn die Möglichkeit, dass er aufgehört hatte, Joran allein aufgrund seiner Vergangenheit zu beurteilen, wie Elea es ihm vorgeworfen hatte? Dennoch gefiel ihm die Vorstellung nicht, dass eine Frau wie Imma das Ungeheuer lieben könnte, selbst, wenn sie blind war. Joranikars Taten waren nicht so leicht zu vergessen. Aber er wagte es nicht, den Hauch von einem Lächeln zu stören, zu dem sich die vollen Lippen der Hexe verzogen. Ihre Augen wirkten bläulich, aber Andin glaubte, dass das nur der Wirkung des Sonnenlichts im Schatten des Holunders zu verdanken sei.
»Ich muss jetzt aufbrechen, Imma. Zermartere dir den Kopf nicht mit Fragen.«
»Du auch nicht. Ich glaube nicht, dass dein Vater so unversöhnlich ist, wie du anzunehmen scheinst.«
Andin nickte mit einem schiefen Lächeln und stieg auf.
»Das Problem besteht darin, dass ich ihn im Alter von zwölf Jahren verlassen habe, um die Welten zu durchstreifen. Er hat sich nie damit abfinden können, dass ich fern von ihm erwachsen geworden bin.«
»Und dir bereitet es große Mühe, ihm zu beweisen, dass du erwachsen bist, nicht wahr?«
»Auf Wiedersehen, Imma.«
»Auf Wiedersehen, Andin.«
Der Verbotene Wald bildete eindeutig eine Familie, die man nur schwer verlassen konnte. Andin hatte viel Zeit verloren. Zu viel. Obwohl Nis kraftvoll galoppierte, kam er erst an der Spitze der Landzunge
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