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Die rebellischen Roboter: Science-fiction-Roman

Titel: Die rebellischen Roboter: Science-fiction-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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bis ich einen Buchladen fand, wo es Taschenbücher gab; ich kaufte Carl Sandburgs Biographie Lincolns und nahm sie mit in mein Motelzimmer, wo ich es mir mit einer Sechserpackung Bier und einer großen Tüte Kartoffelchips bequem machte.
Ich studierte vor allem den Bericht über Lincolns Affäre mit Ann Rutledge, aber Sandburg schien immer um das Thema herumzureden. Ich ließ Bier, Bücher und Kartoffelchips stehen und fuhr wieder in die Bibliothek. Es war früher Nachmittag. Nach dem Tod von Ann Rutledge war Lincoln laut Britannica in einen Zustand tiefer Depression verfallen. Fünf Jahre später hatte er sich mit einem hübschen Mädchen namens Mary Todd verlobt. Aber plötzlich löste er die Verlobung. Dabei war für die Hochzeit alles vorbereitet. Man fand Lincoln in einem Zustand des Wahnsinns. Und er erholte sich nur sehr langsam. Er blieb sein Leben lang gezeichnet.
    Das Unheilvollste war für mich, daß man seine Unentschlossenheit so betonte. Denn das ist nicht ein Symptom der ManischDepressiven, das ist – wenn überhaupt ein Symptom – das der introvertierten Psychose. Der Schizophrenie.
    Es war inzwischen halb sechs geworden, Zeit fürs Abendessen. Ich war ganz steif, meine Augen und mein Kopf schmerzten. Ich brachte die Nachschlagewerke zurück, bedankte mich bei der Bibliothekarin und ging hinaus auf die kalte, zugige Straße. Ganz offensichtlich hatte ich Maury um die Ausleihe eines der tiefsten, kompliziertesten Menschen in der ganzen Geschichte gebeten. Während ich in einem Restaurant saß und aß, dachte ich darüber nach.
Lincoln war genau wie ich. Ich hätte dort in der Bücherei meine eigene Biographie lesen können; psychologisch waren wir uns so ähnlich wie Zwillinge, und wenn ich ihn begriff, verstand ich mich selbst.
Lincoln hatte alles schwergenommen. Er mochte distanziert gewesen sein, aber gefühlsmäßig nicht abgestorben, ganz im Gegenteil. Er war also das Gegenteil zu Pris, zu ihrem kalten, schizoiden Typ. Leid und Mitgefühl waren in sein Gesicht gezeichnet. Er litt die Qualen des Krieges mit, jeden einzelnen Tod.
Es fiel also schwer zu glauben, daß seine »Distanziertheit«, wie die Britannica das nannte, ein Zeichen von Schizophrenie war. Dasselbe galt für seine bekannte Unentschlossenheit. Und ich hatte zusätzlich noch meine persönliche Erfahrung mit ihm – oder, genauer, mit seinem Simulacrum.
    Ich fühlte ein natürliches Vertrauen, eine echte Zuneigung Lincoln gegenüber, und das war ganz gewiß das Gegenteil dessen, was ich für Pris empfand. Er hatte etwas zutiefst Gutes und Menschliches an sich, eine Verwundbarkeit. Und ich wußte aus meiner eigenen Erfahrung mit Pris, daß der Schizoide nicht verwundbar ist; er hat sich in die Sicherheit zurückgezogen, an eine Stelle, von der aus er die andern Menschen beobachten kann, ohne sich selbst zu gefährden. Das Hauptproblem bei Leuten wie Pris lag in ihrer Distanziertheit. Ihre größte Angst war die vor der Nähe zu anderen Menschen. Sie und ich waren so verschieden. Jeden Augenblick konnte Pris umschalten und paranoid werden; sie wußte nichts von der wahren menschlichen Natur, nichts von der gelassenen täglichen Begegnung mit den Menschen, die ich in meiner Jugend gelernt hatte. Auch Lincoln kannte die Paradoxe der menschlichen Seele, ihre Größen, ihre Schwächen, ihre Lüste, ihren Adel. Pris hatte eine eiserne, starre, schematische Ansicht von den Menschen. Eine Abstraktion. Und sie lebte darin.
    Kein Wunder, daß man sie nicht erreichen konnte.
Ich bezahlte die Rechnung und ging wieder hinaus. Wohin jetzt? Wieder zum Motel. Ich winkte einem Taxi und fuhr durch die Stadt.
Als ich das Motel erreichte, sah ich in meinem Zimmer Licht. Der Besitzer eilte aus seinem Büro und begrüßte mich. »Sie haben Besuch. Mein Gott, er sieht wirklich aus wie Lincoln. Was ist das Ganze, ein Gag oder was? Ich habe ihn hineingelassen.«
»Danke«, sagte ich und betrat das Zim mer.
In einem Sessel, die langen Beine von sich gestreckt, saß das Lincoln-Simulacrum. Er nahm mich gar nicht wahr; er las die Carl Sandburg-Biographie. Neben ihm am Boden stand eine kleine Leinentasche; sein Gepäck.
»Mr. Lincoln«, sagte ich.
Er hob den Kopf und lächelte mich an.
»Guten Abend, Louis.«
»Was halten Sie von Sandburgs Buch?«
»Ich habe noch keine Zeit gehabt, mir eine Meinung zu bilden.« Er legte einen kleinen Papierstreifen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und legte es weg. »Maury hat mir gesagt, daß Sie in ernsten

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