Die Rebenprinzessin
War er vielleicht in seinem Verdacht bestätigt worden, auch wenn Martin versucht hatte, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten?
Im Weinkeller brannte Licht. Nicht genug, um arbeiten zu können, aber für eine Unterhaltung würde es reichen. Als Martin dem Kellermeister nach unten folgte, überkam ihn der Gedanke, dass man ihn womöglich sofort töten würde, wenn man ihn als Verräter entlarvte. Niemand würde es je erfahren, allein die Wächter würden sich vielleicht über ein längliches Bündel wundern, das aus der Burg geschafft wurde.
Martin hätte erwartet, dem Grafen gegenüberzutreten, oder zumindest Heinrich Oldenlohe, aber es wartete nur Christian Dubelaar auf ihn, mit regloser Miene. Martin versuchte, die Schatten des Kellers zu durchdringen und herauszufinden, ob der Waffenmeister des Grafen vielleicht doch zugegen war. Aber er konnte nichts erkennen.
Bernhard Wackernagel trat neben den Fassmeister und holte unter seinem Wams einen Zettel hervor.
Sofort durchzuckte es Martin siedend heiß. War das etwa der Brief, den er Bella gegeben hatte? War ihr Vater irgendwie in den Besitz des Schreibens gelangt? Er schluckte und versuchte ruhig zu bleiben. Ob ihm das gelang, konnten wohl nur die beiden Männer beurteilen, die ihn nun argwöhnisch in Augenschein nahmen.
»Das hier hat uns heute einer der Knechte gebracht«, sagte Bernhard Wackernagel und faltete den Zettel auseinander. »Er hat behauptet, es gehöre dir und sei Teufelswerk. Ein Zauberspruch. Was meinst du dazu?«
»Dazu müsste ich es erst einmal ansehen«, gab Martin mutig zurück. Leugnen war vermutlich zwecklos, daher versuchte er erst mal, Zeit zu gewinnen.
Der Kellermeister tat ihm den Gefallen und reichte ihm das Schreiben.
Wie Martin im nächsten Augenblick feststellte, handelte es sich um den Buchstabenschlüssel, den Giacomo ihm überlassen hatte. Da überfiel ihn eine derart starke Übelkeit, dass ihm die Galle bitter im Mund zusammenlief.
»Das sind Buchstaben«, sagte er unter Aufbringung all seiner Beherrschung. »Einfach nur Buchstaben.«
»Wozu brauchst du sie?«
»Ganz sicher nicht, um einen Zauberspruch zu sprechen«, entgegnete Martin. »Das hier ist einfach nur das Alphabet, vorwärts und rückwärts.«
Zu spät fiel Martin ein, dass ihn gerade das »rückwärts« verdächtig machen könnte. Hieß es nicht, dass Hexen und Zauberer ihre Dokumente in Spiegelschrift verfassten, damit sie nur der Teufel lesen konnte?
Der junge Mann stand am Rande seiner Beherrschung, hatte er doch auf einmal das Gefühl, am ganzen Körper zu glühen. Wieder wanderte sein Blick hinüber in die Schatten, aber auch jetzt tauchte Heinrich Oldenlohe nicht daraus auf. Der Waffenmeister hätte ihnen sicher sagen können, dass diese Buchstaben kein Zauberwerk waren, sondern das Handwerkszeug eines Spions. Und das hätte vielleicht noch größere Schwierigkeiten nach sich gezogen.
»Hier auf der Burg gibt es einige Leute, die dich anscheinend nicht mögen«, sagte der Kellermeister nun. Der Fassmeister, der das bereits mitbekommen hatte, schwieg noch immer. »Ich nehme mal an, der Junge, der uns diesen Zettel gegeben hat, gehört dazu.«
Verfluchter Thomas, schimpfte Martin im Stillen. Möge dir ein Buckel wachsen.
»Du hast großes Glück, dass dieser Zettel nur in unsere Hände gelangt ist«, sprach Bernhard Wackernagel weiter. »Ich weiß, das hier ist kein Zauberspruch, es sind einfach nur Buchstaben. Im schlimmsten Fall hättest du dafür aber wegen Hexerei in den Kerker wandern können.«
Martin verfluchte Thomas ein zweites Mal. Offenbar hatte Christian Dubelaar mit seiner Warnung recht gehabt. Eine Tracht Prügel war nur ein Mittel, um jemanden, den man nicht leiden konnte, zu ärgern.
»Am besten, du verbrennst das hier«, riet der Fassmeister ihm nun. »Ich nehme an, dass du die Buchstaben des Alphabets auch so kennst.«
Martin nickte und wusste, dass er drauf und dran war, sich damit zu verraten. Welcher einfache Bauernsohn konnte schon lesen und schreiben?
Die beiden Männer betrachteten ihn einen Moment lang eingehend, und Martin rechnete fest damit, dass sie ihm gleich die Frage stellten, wo er denn lesen und schreiben gelernt habe.
Doch dann sagte Bernhard Wackernagel: »Geh jetzt zurück in dein Quartier und schleich künftig nicht mehr des Nachts herum. Es ist zu deinem eigenen Wohl.«
Martin konnte nicht fassen, dass dies alles gewesen sein sollte. Dann erst drang allerdings die Warnung zu seinem Verstand durch,
Weitere Kostenlose Bücher