Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
Vom Netzwerk:
ich den edlen Baron um Gnade ersuchen kann. Er ist meine letzte Rettung. Doch vorher, mein Bruder, gebt mir zu essen. Ich habe seit zwei Tagen nichts zu beißen gehabt, und mir ist schon ganz schlecht vor Hunger.«
    Der Barmherzige Bruder überbrachte dem Kerkermeister sein Anliegen und gab ihm sechs Deniers (einen halben Sol), damit er ihm eine Suppe brachte. Maître Beaulouis wunderte sich:
    »Dieser merkwürdige Kauz behauptet, schreiben zu können? Das hört man nicht oft von Gauklern.«
    Er selbst konnte zwar lesen, hatte aber nie schreiben gelernt: ein großer Nachteil, denn er mußte eine nicht unbeträchtliche Summe für Schreibarbeiten ausgeben. Bredin, sein Ältester, hatte sich zwar darin versucht, sich aber als nicht sonderlich begabt erwiesen, so daß Beaulouis für die wichtigen Kostenaufstellungen die Dienste eines öffentlichen Schreibers in Anspruch nehmen mußte, der einen Hardi pro Zeile verlangte, und einen Liard, wenn sie Lateinisch war.
    »Hol dein Schreibzeug«, befahl er seinem Sohn und zündete eine Fackel an.
    Sie stiegen in das Verlies hinab.
    »Der Barmherzige Bruder hat mich wissen lassen, daß du ein Gnadengesuch an den Baron richten willst. Das ist dein gutes Recht. Hier sind die Sachen, die du brauchst«, sagte Beaulouis zu Justinien.
    Bredin holte sein kleines Schreibpult hervor und stellte es ihm auf die Oberschenkel.
    »Ich hätte lieber zuerst etwas gegessen, ich habe solchen Hunger«, sagte der junge Mann enttäuscht.
    Er hob dennoch den Deckel, unter dem sich die Schreibutensilien befanden: ein Tintenfaß aus Steingut, ein Döschen mit Sand, ein Tuch zum Abwischen der Feder, ein Federmesser, ein Etui für die Federn, ein kleiner Napf für den Schwamm und der Schaber, mit dem man die Fehler wegmachen konnte. Das Papier steckte in einer kleinen Schublade unten am Pult. Justinien öffnete das Etui und machte ein verdrießliches Gesicht, als er die Entenfeder sah, die schlecht gespitzt war.
    » Um die Feder zu spitzen, sollte man das Messer verwenden und nicht die Zähne.«
    Der Kerkermeister warf seinem Sohn einen bedeutsamen Blick zu, woraufhin dieser irgend etwas Unverständliches vor sich hinbrummte. Justinien spitzte die Feder neu und erklärte dabei, wie man sie breit oder fein hinbekam, je nach gewünschter Schrift. Die wiederum hing vom Stand des Empfängers und der Art des Anliegens ab (es gab sechs verschiedene: die feine, die runde, die bescheidene, die gotische, die eckige und die ungelenke Schrift). Für ein Gnadengesuch wählte man die bescheidene. Mühelos und ohne Zögern glitt seine Hand rasch, leicht und vollkommen sicher über das Papier.
    An den hochwohlgeborenen, hochwürdigen und großmächtigen Baron, Euer untertänigster Diener erlaubt sich, Euch seine mißliche Lage zu schildern ...
    In kürzerer Zeit, als Bredin benötigte, um eine einzige Zeile zu schreiben, hatte Justinien seine Geschichte zu Papier gebracht, das Geschriebene unterzeichnet, den Bogen mit Sand bestreut, damit die Tinte trocknete, ihn zweimal gefaltet und an »Seine Exzellenz Baron Raoul Boutefeux, Oberster Lehnsherr zu Bellerocaille« adressiert.
    » Kannst du auch Lateinisch schreiben? « wollte Beaulouis wissen, als er das Gesuch an sich nahm, während Bredin sich das kleine Schreibpult zurückholte.
    Justinien vergaß sein Brandmal, zuckte mit den Schultern und stöhnte auf.
    »Ja.«
    Der Kerkermeister hielt einen Augenblick am Fuße der Leiter inne und sagte: » Der Barmherzige Bruder hat für eine Suppe bezahlt. Jacquot wird sie dir gleich bringen.«
    Er deutete auf das Bittgesuch, das er in seinen Händen hielt, und fügte in gutmütigem Ton hinzu:
    » Es gibt da vielleicht einen Weg, dir deinen Aufenthalt hier etwas angenehmer zu gestalten.«
    Dann kletterte er die Sprossen hinauf und verschwand durch die Luke. Als er im Hof war, faltete er den Brief auseinander und las ihn mit lauter Stimme vor, wobei er die Geradheit der Linien, die schön geschwungenen Buchstaben und den Stil bewunderte.
    »Er schreibt gut«, meinte Bredin anerkennend.
    »Gut? Du willst sagen, er schreibt sehr gut. Er schreibt sogar besser als der Küster.«
    Der Küster war der einzige der öffentlichen Schreiber in Bellerocaille, der des Lateinischen mächtig war.
    Beaulouis hielt das Bittgesuch an die Fackel und sah zu, wie es auf dem Pflaster Feuer fing. Als der Brief vollständig verbrannt war, verrieb er die Asche mit der Schuhsohle, dann kümmerte er sich um die Suppe für einen halben Sol.
    Die erste

Weitere Kostenlose Bücher