Die Regentin (German Edition)
für die Einheit der Herzen bezeichnet hatte und der im matten Licht schwach funkelte. Chlodwig steckte ihn ihr an den vierten Finger der linken Hand, dem Glauben folgend, dass von eben diesem Finger eine wichtige Ader direkt zum Herzen führe.
Erst jetzt, da Chlodwig nach ihrer Hand griff, blickte Bathildis ihm ins Gesicht. Es deuchte sie fremd, wie er da lächelte – freudig und scheu, beglückt errötend und verlegen. Sie schüttelte leicht den Kopf, nicht um ihn davon abzuhalten, ihr den Ring überzustreifen, vielmehr verwirrt darüber, dass die Zeremonie schon so weit fortgeschritten war. Hatte sie nicht eben noch bei Gertrude gestanden und war von dieser angekleidet worden? Woher kamen all die Leute, die sie begafften – manche zufrieden, manche neidisch, manche verächtlich?
Kein Laut erreichte sie, nicht, weil sie sich absichtlich taub stellte wie in den letzten Stunden, sondern weil keiner wagte, in diesem Augenblick etwas zu sagen oder gar zu hüsteln. Nur Chlodwigs Atem vernahm sie – er klang gepresst, vielleicht weil er ihn in jener ehrfürchtigen Stille zu drosseln suchte und doch die Aufregung ihn gierig nach Luft schnappen ließ. Schon neigte er sich vor, um den nächsten und gleichsam den wichtigsten der Riten zu vollziehen – den Osculum, jenen Kuss, der, auf die Wange gehaucht, den Bund endgültig bekräftigen sollte.
Bathildis schloss unwillkürlich die Augen, doch wiewohl sie solcherart von Chlodwigs Anblick befreit war, so spürte sie dennochseine warmen, weichen Lippen auf ihrer Haut, vorsichtig und zärtlich. Sie verbat sich den Anflug von Rührung, beschwor stattdessen das Gefühl von Schande herauf, als würde sie vor all den Versammelten bloßgestellt, ihnen nackt vorgeführt.
Schon war es vorbei, und sie atmete erleichtert aus. Ehe der Bischof von Paris sie nun segnen würde – es war dies nicht länger notwendiger Bestandteil der Zeremonie, eher Beiwerk, von dem man sich dachte, dass es nicht schaden könnte –, so überreichte ihr Chlodwig die letzte Gabe: die Calciamenta, ein Paar Schuhe, die bekräftigen sollten, dass sie fortan auf jenen Wegen wandeln würde, die der Gatte bestimmte. Es waren sehr kostbar gefertigte Schuhe, mit kleinen ledernen Halbmonden bestickt. Bathildis war jener Brauch fremd, doch sie war bereit, ihn gedankenlos zu befolgen so wie alle anderen. Sie hob den einen Fuß, befreite sich vom Schuh, den sie bislang getragen hatte, und schlüpfte in den von Chlodwig dargebotenen – und dann plötzlich entrang sich ihr ein Aufschrei. Sie zuckte zusammen, Chlodwig auch – und mit ihnen alle anderen, denen langsam aufging, dass da etwas geschah, was so nicht vorgesehen war.
Bathildis war sich der Blicke bewusst, die – noch offenkundiger als vorhin, da die Höflichkeit das allzu ungenierte Gaffen verbat – auf sie fielen. Sie las Überraschung darin, in manchen auch Belustigung ob ihrer Bloßstellung – vor allem in einem.
Itta.
Sie hatte sich in den letzten Monaten an Ebroins Warnung gehalten. Gänzlich zurückgezogen hatte sie ihre waidwunde Seele gepflegt, die dem verlorenen königlichen Bräutigam nachtrauerte, und hatte es der Schwester überlassen, Bathildis’ Nähe zu suchen. Nun stand sie in der ersten Reihe, den Mund verkniffen wie ansonsten auch, doch zugleich, was ungewöhnlich war, ein wenig lächelnd – böse und vernichtend.
So klar und nüchtern war Bathildis schon seit Stunden keinGedanke mehr durch den Kopf gegangen. Sie war’s. Itta will mich vor allen beschämen, auf dass sie sehen, welch unwürdige Königin ich bin. Sie wagt es nicht, mir noch einmal nach meinem Leben zu trachten – aber sie versucht, meine Ehre und mein Ansehen in den Schmutz zu zerren.
Der Schuh, in den sie da hineingestiegen war, war ihr zu klein. Jener, den sie in Vorbereitung auf den heutigen Tag mit Gertrudes Hilfe anprobiert hatte, hatte wie angegossen gesessen. In diesen aber, von einem feindseligen Geist ausgetauscht, kam sie gerade mit den Zehen hinein, wohingegen sie die Ferse unangenehm einzwängen musste.
Ein Schmerz zog pochend vom Fuß hoch zur Leibesmitte, brachte das Leben in sie zurück und einen unverhofften Wunsch: Itta stand es nicht zu, sie derart bloßzustellen.
Jener Wunsch war noch lauter als das eigene Unverständnis, von diesem bösen Streich derart gekränkt zu sein, nicht gleichgültig darüber hinwegzusehen, weil es ihr doch gleich sein konnte, was geschah. Eigentlich wollte sie weder den König zum Mann noch den Rang seiner Gattin
Weitere Kostenlose Bücher