Die Regentin (German Edition)
despexeris deprecationem meam. Conturbatus sum a voce inimici et a tribulatione peccatoris...«
Gott, erhöre mein Gebet, verbirg dich nicht vor meinem Flehen. Das Geschrei der Feinde verstört mich; mir ist angst, weil mich die Frevler bedrängen.
Bathildis’ Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und sie rappelte sich auf, um zu sehen, wer diese Worte sagte. Manche der Nonnen starrten mit aufgerissenen Augen wie Tote; andere hatten diese zusammengepresst, als könnten sie sich solcherart von der Welt fortstehlen, in der Raub und Schändung und Ermordung drohten. Ein paar wenige nickten im Takt der Silben – ausgesprochen von der ziegengesichtigen Godiva, die als Einzige kniete und die Hände zum Gebet verschränkt hielt. Bathildis ahnte, dass es ein Psalm war, mit dem jene den himmlischen Beistand herbeirufen wollte, doch in jenem Augenblick deuchten die Worte sie das Dümmlichste, was sie je vernommen hatte. Jedes einzelne war zu viel gesprochen. Jedes einzelne konnte dazu führen, dass sie aufgestöbert wurden.
»Hör zu beten auf!«, zischte sie, erstaunt über die schneidende Stimme und auch darüber, dass sich zu der bodenlosen Angst auch ein Gefühl von Wut mengte.
Überrascht hob Godiva ihr längliches Gesicht.
»Wer kann uns jetzt noch helfen, wenn nicht der Allmächtige?«, fragte sie, ohne daran zu denken, dass sie sich vor einer wie Bathildis nicht zu rechtfertigen hatte.
»Der Allmächtige hat mir die Eingebung geschenkt, dass wir hier Zuflucht finden können! Also verrate uns nicht mit lauten Worten!«
Einen Augenblick schwieg Godiva, schien sich der Forderung zu beugen, um freilich schon im nächsten fortzufahren; diesmal war ihre Stimme nicht zitternd und bangend, sondern klar und laut.
»Exaudi Deus orationem meam et ne despexeris...«
»Still!«, fiel Bathildis ihr ins Wort.
Es war nicht das Einzige, was sie tat, um die andere zum Schweigen zu bringen. Sie wusste kaum, was geschah, da ertönte schon ein leises Aufklatschen, mit dem sie Godiva einfach die Hand auf den Mund geschlagen hatte und ihn zuhielt.
Die andere wand sich ärgerlich, jedoch nicht lange. Denn just in diesem Augenblick ertönte ein lautes Hämmern und Krachen und Getrampel, gleich so, als würde ein ganzes Heer aus dem Nichts einfallen. Der Boden erzitterte unter Schritten und gabdas Beben auch an die Holzwände weiter, die ihnen Schutz gewährten.
Die Kapelle, das Männerkloster, das Frauenkloster.
Verschlossen einzig von Holztoren.
Schon war ihr Knirschen zu hören, als sie gewaltsam aufgebrochen wurden und die fremden Angreifer mit lautem Gejohle in die Gebäude stürmten.
Während die Nonnen entsetzt aufstöhnten, störte sich Bathildis nicht an diesem Laut. Jeder war ihr recht, wenn er nur weit genug von ihnen entfernt war!
Nur – lösten sich da nicht einzelne Schritte aus dem allgemeinen Getrampel? Näherten sie sich dem Taubenturm, langsam, vorsichtig spähend – aber unausweichlich?
III. Kapitel
Die Nacht währte endlos. Sie färbte jedes Geräusch dunkler, das bei Tageslicht erlauscht zwar nicht weniger erschreckend, aber doch weniger unheimlich in ihrer aller Ohren geklungen hätte.
Aus welchem Höllenkrater die Horde dort unten auch immer erstanden war – ihr Handeln war nicht ohne Ordnung. Wahrscheinlich waren sie nicht zufällig an jenem Punkt der Küste gestrandet, sondern angelockt von dem Gerücht, dass jenes Doppelkloster über all die Jahre seines Bestehens manche Schätze zusammengetragen hatte. So planmäßig, wie sie lautlos näher gekommen und die Heilige Stätte umkreist hatten, um dann zu einem jähen, überraschenden Angriff überzugehen, war denn auch ihr weiteres Tun. Erkennend, dass sie auf leere Mauern trafen, nutzten sie nicht nur die dunkle Nacht, sondern auch das verräterische Morgengrauen, um Stein um Stein zu wenden und nach allem zu suchen, was für sie Wert besaß.
Es waren nicht die heftigen Laute, die den lauschenden Nonnen am meisten zusetzten, sondern die leisen. Mehr als einmal kam einer der Angreifer dem Taubenturm gefährlich nahe. Noch Tage später brannte das Geräusch der forschen Schritte in Bathildis’ Ohren wie ein steter Schmerz. Allesamt wagten sie es nicht, durch die Luken zu spähen oder sich gar hinunterzubeugen, sondern duckten sich im engen Raum. Und doch war Bathildis später, sie hätte ihn selbst gesehen – jenen Mann, aus einem Land im Norden jenseits des Meeres stammend, der denTaubenturm als Einziger betrat und der prüfend die
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