Die Regentin (German Edition)
waren weniger wert als jene jungen Frauen und Männer, die den Tod des Nachwuchses mit der Zeugung von neuem wettmachen konnten. Den schauderlichsten Anblick aber boten nicht sie, sondern die Kranken, welche da, von Krämpfen geschüttelt oder von Lähmungen unerträglich verzerrt, in den Häusern lagen und mit dem Tod kämpften.
Schon als Bathildis den ersten erblickte, ahnte sie, was diese arme Kreatur da niederstreckte.
»Es ist das Feuer des Antonius«, bekundete sie ihren Begleitern, als sie kalkweiß, jedoch verbissen aufrecht gehend, die Hütte wieder verließ.
Ob ihres Urteils nickte man verstört und hoffnungslos, denn es war allseits bekannt, dass dies nur eines verhieß: den Tod.
O, mochte er schnell kommen für alle, die dieses Feuer geschlagen hatte und langsam zerfraß! Nicht nur, dass der Leib sich verkrampfte und manche Glieder sich nicht länger rühren ließen, alsbald begannen die Finger brandig zu werden, als würde von einer schmutzigen Wunde giftiges Blut in den Körper steigen. Das hohe Fieber, das folgte, vermochte den Leib nicht zu reinigen – und so half er sich zuletzt mit nichts anderem, als die langsam verwesenden Glieder abzustoßen: anfangs nur Finger, dann ganze Hände und Füße. Die wenigen, die aus diesem Wüten lebendig hervorgingen (und es waren derer nicht viele, nur die Kräftigsten, Wohlgenährtesten), erwachten aus dem Fieberrausch als auf ewig geschlagene Krüppel, nicht fähig, jemals wieder das Feld zu beackern, oft blind und taub.
An jenem ersten Abend, nachdem sie einen solchen Kranken gesehen hatte, verblieb Bathildis über Stunden im Badehaus, bis ihre Haut zuerst weiß, dann schrumpelig wurde, als würde sie sich im warmen Dunst auflösen. Dennoch scheute sie auch künftig die Nähe der Gequälten nicht, wissend, dass jener Fluch nur einen treffen konnte, welcher giftiges Mutterkorn gegessen hatte. Während es hier keine Heilung gab und sie nichts weiter tun konnte, als Mitleid zu bekunden, entwarf sie mit den Getreuen einen Plan, wie gegen den drohenden Hungerwinter zu kämpfen war.
Zuerst wurden jene Landstriche ausfindig gemacht, wo keinerlei Ernte zu erhoffen war, hernach jene, wo sie mager ausfallenwürde, zuletzt solche, die im Frühling vom Hagel und jetzo von der Sonne weitgehend verschont geblieben waren.
Dann hob sie für alle Bauern, die in ersteren Gebieten lebten, die Pflicht auf, Steuer zu bezahlen, und verringerte die der zweiten Gruppe.
Ihr engster Vertrauter, jener Genesius, dem sie einst, als sie mit Theuderich schwanger ging, die Aufgabe übertragen hatte, an ihrer Stelle möglichst viele Sklaven freizukaufen, runzelte abschätzig die Stirn. »Du weißt, dass ich auf deiner Seite stehe, Königin... doch könnte Ebroin das nicht gefallen!«
»Ebroin hat mir in dieser Sache freie Hand zu lassen! Seit Jahren frage ich mich schon, wie es angeht, dass jeder arme Bauer Abgaben zu erbringen hat, ganz gleich, wie die Ernte ausfällt, die Grundherren, welche von Adel sind, aber nicht. Die mitleidlosen Curiales , die da die Steuern eintreiben, verschwenden keinen Gedanken daran, dass solcherart die Bauern in schweren Jahren zu Wucherern getrieben werden, und diese offenbaren nur ihr wahres Gesicht, kaum dass man ihnen die Zinsen schuldig ist. Was bleibt ihm dann, dem Rusticus pauper , dem armen Bauern, als sich in die Unfreiheit zu begeben, auf dass er und die Seinen zumindest überleben können? Mehr Sklaven gibt’s heute, die einst freie Franken waren als Gefangene von fernen Kriegen, und das ist eine Schande!«
»Gewiss«, meinte Genesius zustimmend, »doch mit dem Steuemachlass allein...«
»Damit allein ist niemandem geholfen, da hast du Recht!«, gab Bathildis zu. »Dort, wo die Menschen sich nicht selbst ernähren können, muss ich es tun – als wäre ich die Mutter, wie ein König der Vater seines Volkes ist. Ich möchte also, dass alles Vieh und alles Getreide – die Steuer also, die von jenen stammt, welche vom Hunger nicht betroffen sind – nicht an den Hof fällt, sondern an die, die’s brauchen...«
Genesius lächelte schmal. »Das wird dem Küchenmeister nicht gefallen!«
»Soll er’s nur nicht wagen, den Ärger an den Mägden und Knechten auszulassen – das werde ich zu verhindern wissen. Und wenn ich es nicht schaffe, den Hof zu ernähren, so wird denn das geschehen, was früher Sitte war: Wir ziehen zu einem reichen Bischof und fordern von diesem Gastfreundschaft. Nach außen hin wird er bekunden, wie sehr er sich durch
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