Die Regentin (German Edition)
auf den man sich verlassen konnte. Vielleicht war er das immer schon gewesen – und sie hatte es nur nie erprobt. Nun war’s ihr in jedem Fall ein Leichtes, unliebsame Erinnerung zu schlucken und sich den gemeinsamen Aufgaben der Gegenwart zu stellen.
»Ich weiß, was von Ebroin zu erwarten ist. Ich muss nicht über ihn wachen«, erklärte sie Rigunth darum schroff, jener Aufteilung an Macht gehorchend, die Ebroin in den ersten Tagen festgelegt hatte: »Du kannst Gutes tun, Königin, und dich als Gönnerin von Kirchen und Klöstern hervortun. Magst deinen eigenen Hofstaat halten und den Staatsschatz verwalten. Ich tue das Übrige.«
»Ich sage nicht, dass du ihn ständig prüfen sollst, nur täte ihm vielleicht manches Mal dein Einfluss gut. Ist er allein, entgleitet dir sein Wille.«
»Als ob ich jemals diesen Willen beherrschte! Vor kurzem wollte ich Einblick in die Gesta municipalia nehmen, jene Akten, welche jede Stadt zu führen hat – da sagte er mir dreist, dies ginge mich nichts an, es wäre seine Sache. Nun, so soil’s denn eben sein, ich will mir nicht die Mühe machen, ihm deswegen zu zürnen, jedoch, mach mich nicht glauben, er würde mehr auf mich hören, als er es muss!«
»Sag das nicht, Königin!«
Bathildis ging ihr mit weitausholenden Schritten voraus. Das ruhelose Leben hatte sie in jeder Regung schneller werden lassen, als gelte es, keine Zeit zu vergeuden – weder mit langsamem Gehen noch mit ebenso langsamem Essen.
Rigunth freilich folgte ihr wendig. »Er zeigt es nicht«, rief sieihr im Laufen zu, »jedoch scheint es mir, er wirbt um deine Freundschaft. In deiner Nähe sucht er sich von seiner besten Seite zu geben – ich hörte gar, er stiftete nach deinem Vorbild ein Marienkloster in Soissons.«
»Das wundert mich, doch sicher tat er’s nicht um meinetwillen!«
Sie hatten den Hof erreicht, und Bathildis warf einen kurzen Blick in den gleißenden Sonnenhimmel, der dem ganzen Land so große Sorgen bereitete.
»Er würde es selbst nicht eingestehen«, gab Rigunth nicht auf, »und doch meine ich, dass er nur finstere Pläne hecken kann, bist du weit fort von ihm.«
Bathildis blieb stehen und wandte sich ihr seufzend zu.
»Rigunth, ich weiß – aus widersinnigen Gründen, die ich nie verstehe, wirst du nicht aufhören, für ihn einzutreten, und mir beteuern, dass er in Wahrheit doch ein guter Mensch ist, kein seelenloser Spötter, machthungrig und zu allerlei Grausamkeit fähig. Doch jetzt gilt es ganz andere Dinge zu bedenken. Du weißt, wovon ich spreche.«
Rigunth ergab sich ihrem Willen, nickte und senkte den Kopf.
»Ich weiß, ich weiß, meine Königin. Du hast keine Ruhe mehr, seitdem dich gestern die schlechte Nachricht erreichte...«
Das Unheil, so hieß es, habe sich seit langem angekündigt. Schon lange, bevor die kundigen Sternendeuter es von den Himmels-konstellationen hatten ablesen können, wusste es schon der einfache Bauer.
Ein solcher zumindest erzählte Bathildis, dass sämtliche Hähne nicht länger beim Sonnenaufgang gekräht hätten, sondern mitten in der Nacht, und dass sich während eines Gewitters einer der Blitze in eine Schlange verwandelt hätte und sich noch windend, ja in den eigenen Schwanz beißend, vom Himmel gefallen wäre. Dort hätte man die Schlange freilich nicht gefunden, alswäre sie geradewegs zur Hölle durchgeschlagen, welche unter der Erde dampft und brodelt.
»Mein Hund ist wild geworden, hat nur mehr Schaum gespien und so abartig geknurrt, dass ich ihn erschlagen musste«, fuhr der Mann fort. Er sprach undeutlich, als hätte er zu viel Met gesoffen. Doch da das Gebräu längst Mangelware war, so wie alles andere, was sättigte und Durst stillte, lag es wohl an seinen abgebrochenen Schneidezähnen. »Und die Vögel, welche dort hinten im Tümpel tranken – kaum dass sie sich wieder flügelschlagend erhoben, glänzten ihre Schnäbel rot vor Blut... Ganz gewiss ist’s, dass der Herr uns straft... und dass er’s durch Zeichen angekündigt hatte. Das sagte auch der Priester und ebenso, dass wir diese Strafe ertragen müssen. Unsere Not rührte jenen nicht. Aber er hatte Angst, dass wir uns mit Zauberhörnern und Bleiplättchen vor Unwetter, Missernte und Hagelschlag zu schützen versuchen. Denn dann wären wir Heiden, keine Christen... Ich sag mir freilich: Ob nun fromm oder gottlos, ein leerer Magen knurrt doch jedem!«
Verzweifelt streckte er seine Hände aus, um sein Wehklagen zu unterstreichen, und wie immer zuckte Bathildis
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