Die Regentin (German Edition)
unsere Gegenwart geehrt fühlt, und nur heimlich darüber schimpfen, dass wir wie hungrige Heuschrecken über ihn herfallen. Nun, dem künftigen König verschließt man nicht das Tor – und das soll unser Nutzen sein. Am wichtigsten ist, dass sie es schnell lernen: Dass die den Armen gnädig dargebotene Hand ist, wie wir einst jene von Gott erhoffen – uns nämlich freundlich entgegengestreckt.«
Genesius grinste wieder, diesmal unverhohlen.
»Manchmal könnte man meinen, Königin, du wärst bei den Adamiten in die Schule gegangen.«
»Bei den Adamiten?«
»Ein schreckliches Gesindel, gottlos und verdorben. So richtete zumindest die Kirche über jenes absonderliche Geschwisterpaar – die Frau nannte sich Maria, ihr Bruder Prophet –, welches mit nackten Füßen durch die Lande zog, das Paradies anbrechen wähnte und manchen Priester lockte, ihnen zu folgen.«
»Und was hat das mit meinem Trachten gemein?«, fragte Bathildis verwirrt.
»O, gewiss möchte ich dich nicht mit diesem üblen Pack vergleichen. Und doch war’s so, dass sie es sich mit der Zeit zur Gewohnheit machten, den Reichen Gold zu stehlen und es den Armen zu übergeben. Zumindest darin bist du ihnen ähnlich.« Leiser fügte er hinzu: »Du solltest dir im Klaren sein, dass du dir solchart manche Freundschaft verspielen wirst, wiewohl dich das Volk gewiss lieben wird!«
Schon bei ihrer Rückkehr nach Paris bekam Bathildis die Liebe zu spüren. Welchen Weg sie auch nahm – nicht seltengeschah’s, dass an dessen Rand Menschen warteten, in kleinen Grüppchen oder größeren Horden, um einen Blick auf die mildtätige, gnadenreiche Königin zu erhaschen. Die einen warfen ihr aus Dank Blumenkränze vors Gefährt, die anderen brachten in der Hoffnung, ihre Gegenwart allein könne sie heilen, ihre Kranken.
Auch Kinder waren darunter, oft von jenen Schulen stammend, welche Bathildis ins Leben gerufen hatte und wo nicht nur Knaben, sondern auch Mädchen erzogen wurden, wie es im Frankenreich üblich war. Desgleichen dankten ihr junge Mütter, die ihre Säuglinge ob ihrer großzügigen Hilfe ausreichend ernähren konnten, anstatt sie – wie oft in Zeiten der Not – in jenen Marmorschalen aussetzen zu müssen, die eigens für diesen Zweck an Kirchenmauern angebracht waren. Und schließlich waren viele Frauen in dunklen Gewändern zu sehen – Witwen, deren Los, sofern sie nicht jung und reich waren und nach der zehnmonatigen Trauerzeit wieder heiraten konnten, oft ein düsteres war: Manch eine musste ihren Körper verkaufen, um zu überleben; andere schlossen sich zusammen und zogen bettelnd von Kirche zu Kirche; wiederum andere wurden zwar in einem Kloster aufgenommen, mussten dort jedoch die niedersten Dienste tun und oft härter schuften als mancher Sklave.
Schon vor einigen Jahren hatte Bathildis das Gesetz erlassen, wonach jene Witwen, die über kein Erbe verfügten, unter dem persönlichem Schutz des Königs standen, ein Auskommen erhalten müssten und selbst entscheiden durften, ob sie wieder heiraten, in ein Kloster eintreten oder mit ihresgleichen zusammenleben wollten – dann durch ein Keuschheitsgelübde zu einem keineswegs ärmlichen, jedoch frommen Leben verpflichtet.
Wenn die Sonne nicht zu stark blendete, ließ Bathildis manches Mal den Vorhang aus Leder zurückbinden, auf dass man sie sehen konnte; regungslos saß sie dann, so wie es von einer ihres Standes erwartet wurde, jedoch mit leisem Lächeln.
Kaum waren sie wieder unter sich, schwand jenes jedoch manchmal.
»Warum bist du so ernst, meine Königin?«, fragte Rigunth. »Gar vielen rettet das Leben, was du tust. Als Zeichen größter Achtung kommen sie, um dich zu schauen!«
Bathildis nickte langsam.
»Ich weiß, ich weiß«, gab sie zu, »es ist nicht der Gedanke an das Volk, der mich bedrückt... es ist nur: Als es zu ahnen stand, dass Unglück kommen würde, als erste Nachricht von der schlechten Ernte uns erreichte... da war ich kurz erleichtert, dass Gott die Bauern geißelt und nicht mich und meine Söhne. Und wenn ich helfe, wie ich’s tue, so treibt mich nicht die Sorge um die fremden Kinder, sondern die um die eigenen. Ich will von meinem und auch Chlothars Namen sämtlichen Vorwurf fernhalten, wir wären dem Volke schlechte Eltern. Und deswegen, so scheint es mir, ist nicht herzensgut, was ich tue, sondern berechnend.«
»Du bist zu streng mit dir«, gab Rigunth leichtfertig zurück. »Wer schert sich um meine Gründe, wenn sie zu Gutem führen? Und was soll
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