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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ließ: Die Kutsche hatte angehalten, und von draußen kamen, wenngleich von den Ledervorhängen gedämpft, merkwürdige Laute: kein echtes Klagen, eher ein Seufzen, keine deutlichen Worte, nur ein Gemurmel. Von allen Seiten schien es sie einzuhüllen, kam nicht nur aus einer Kehle, sondern aus vielen. Ein Meer von Menschen schien die Laute zu tragen, sie zu ihr zu spülen, und obwohl sie noch nicht wissen konnte, was sie verhießen, so fühlte sie doch sogleich, dass sie von Traurigkeit gezeugt waren, nicht von Ehrfurcht oder Freude.
    Sie zog die Vorhänge zurück und stieg ins Freie, von eiskalter Nacht getroffen – der ersten in diesem Jahr, die nicht mehr die Schwüle des Sommers barg. Noch ehe sie erfragen konnte, was denn die Ursache für jene merkwürdigen Laute war, erhellte der gelbe Mondschein das verstörende Bild, das sich ihren noch schlaftrunkenen Augen bot. Die Tore von Noyon lagen vor ihnen, jener Stadt, in der der Bischof residierte, und wiewohl weit geöffnet, vermochten sie die vielen Menschen, die ihnen entgegenströmten, nur langsam zu schlucken. Von allen Seiten schienen sie zu kommen, im Dunkeln nichts als graue Punkte, welchesich um ein gemeinsames Ziel rotteten, fast alle von ihnen gebückt, manche sogar auf Knien robbend. Viele Mönche waren dabei, jene erzeugten auch das Murmeln – leises Gebet von Psalmversen doch es waren auch einfache Menschen zu sehen, Bauern und Handwerker, Bettler und Kranke.
    Eben versuchte die berittene Truppe, die Bathildis stets begleitete, eine Schneise in jene graue Masse zu schlagen, um dem Gefährt der Königin sein Durchkommen zu ermöglichen, ungeachtet, welches Körperglied, welcher Kopf versehentlich unter die Hufe geraten könnte.
    »Nicht!«, schrie Bathildis und erschauderte ob des Klangs ihrer Stimme, der sämtliche Furcht, sämtliche Trauer enthielt, die die Nacht und die Menschenmassen atmeten.
    Sie stürmte nach vorne, reihte sich ein in die vielen Menschen, ließ sich von ihnen mitreißen. Sie bemerkte kaum, dass einige der Berittenen hastig vom Pferd sprangen, um die Königin nicht ganz zu verlieren und ihr das Fortkommen mit rücksichtlosen Schlägen zumindest ein wenig zu erleichtern.
    Tatsächlich wichen die Murmelnden zurück, kaum dass sie erkannten, welch hohe Besucherin da der Stadt entgegeneilte, das Tor erreichte, es durchschritt. Rechts und links hielten sie nun die Männer gestützt und wiesen ihr solcherart, kaum, dass sie es gewahrte, den Weg zum Bischofspalast, das größte und prunkvollste Gebäude der Stadt, aus Stein erbaut und von mächtigen Säulen gestützt.
    Ob Eligius sich auch dessen Schönheit verschlossen hat?, ging Bathildis unwillkürlich durch den Kopf. Ob er sich verbissen die Bequemlichkeit dieses Palastes verboten hat, stets bereit, davor zu fliehen, seine Bischofsstadt zu verlassen und sich in die Niederungen der Welt zu begeben, wo keine sauberen, steinernen Wände vor Elend und Schweiß und Blut bewahrten?
    Dunkel gekleidete Männer traten ihr entgegen, von vorauseilenden Boten auf ihr Kommen eingestimmt. Priester waren es allesamt und Mönche – nur einer nicht: Thille, jener Sklave, dermit ihr die angelsächsische Herkunft teilte, einst von Eligius befreit worden und doch treu in seinen Diensten verblieben war, als wäre die Pflicht gegenüber einem guten Herrn viel mehr wert als die Freiheit.
    Dankbar ob des vertrauten Gesichts lief Bathildis zu ihm hin.
    »Sag, wo ist der Bischof? Ich habe dringend mit ihm zu reden; er muss mir helfen, er muss mir sagen, was zu tun ist, er muss...«
    Sie las es in seinen Augen, noch ehe er sprach, das ehrfürchtige Gemurmel der Menschenmasse hatte es längst verkündet.
    »Vor zwei Tagen legte er sich mit Fieber nieder«, sprach Thille kummervoll. »Wir dachten, er würde sich rasch davon erholen, denn er schien nur müde zu sein, nicht ernstlich krank. Doch vor wenigen Stunden hat der Himmlische Vater seinen Knecht Eligius zu sich gerufen...«

XXX. Kapitel
    Der Tod hatte Eligius nicht verändert, die Hitze des Fiebers die gleichmütigen Züge nicht entstellt. Die Augenlider waren nicht ganz geschlossen, sondern ließen durch einen winzigen Spalt den Eindruck entstehen, sein Blick wäre noch wach, wenngleich schläfrig und unempfindlich wie stets.
    Nein, dieser Mann hatte nicht mit dem Tod gekämpft, sondern ihm gleichgültig entgegengesehen – weder bereit, ihn herzlich willkommen zu heißen, noch, ihn zu fürchten. Die Schönheit und die Hässlichkeit hatten ihn in den

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