Die Regentin (German Edition)
Königin«, sprach ein Priester, den sienicht kannte. »Schon jetzt pilgern die Menschen hierher zu seiner künftigen Grabstätte. Es geht der Ruf von seiner Heiligkeit durchs ganze Land.«
»Dann sollen sie eben nach Chelles kommen!«, versteifte sie sich. So nichtig das eigene Anliegen auch war – es schien ihr doch ein brauchbares Mittel, nicht gänzlich die Fassung zu verlieren, sondern ein Mindestmaß an Macht über diese schreckliche Stunde zu erlangen. »Wie oft habe ich an seiner Seite Gottes Werk verrichtet?«, fuhr sie fort. »Wie oft das Gleiche getan, was sein größtes Anliegen war? Und jetzt wollt ihr mich nicht darüber bestimmen lassen, wo er zur ewigen Ruhe gebettet wird? Die Brüder und Schwester von Chelles bedürfen eines Heiligen, der in ihrer Mitte liegt!«
Zornig schritt sie den Kreis an Gottesmännern ab, doch jene ließen sich davon nicht einschüchtern.
»Keineswegs wollen wir Euch missachten, Königin«, sprach einer von ihnen, »und doch steht Gottes Wille über Eurem. Denn es verhält sich so, dass der Allmächtige selbst entschieden hat, wo Eligius sein Grab finden soll... So wie’s der Brauch verlangt, haben wir den Toten, kaum war er verschieden, auf einen Wagen gelegt und jenen von zwei Ochsen ziehen lassen, die frei waren, ihre Richtung zu bestimmen. Sie zögerten nicht lange, sich für den Weg zu entscheiden, welcher hierher, zu dieser Kirche führte. Sagt mir, meine Königin, wie könnten wir solches Zeichen missachten?«
Die Frage klang verächtlich, und Bathildis hatte nicht die Kraft zu antworten, vor den missbilligenden Blicken einzugestehen, dass ihr der Kummer sämtliche Sinne verdüstert zu haben schien, dass sie sich dumm und ungeschickt gebärdet hatte, genauso, wie es eben diese Männer von jedwedem Weib erwarteten. Eligius’ Tod nicht würdevoller hingenommen zu haben war nicht weniger beschämend, als sinnlos um seinen Leichnam zu streiten.
Freilich fiel es ihr schwer, vor ihnen allen klein beizugeben.Mit allem ihr verbliebenen Trotz straffte sie ihre Schultern, blickte ein letztes Mal auf den Toten und entschied: »So sei es denn, wenn Ihr es wollt. Mein Abschied freilich ist getan. Ich werde hier nicht länger verweilen.«
Pechschwarz war die Nacht, als sie nach draußen eilte, der schmale, gelbe Mond, der vorhin noch manchen Schatten warf, verschluckt von schwerem, düsterem Gewölk.
Zwischenzeitig hatte ihr Gefährt die Kirche erreicht, und eben war Rigunth dabei, den drei Prinzen hinauszuhelfen, auf dass sie vom toten Bischof Abschied nehmen könnten.
»Sie sollen wieder einsteigen!«, bellte Bathildis unwirsch und hielt sich an ihrem Trotz aufrecht. »Wir fahren zurück!«
»Aber...«
»Wir können morgen rasten, nur jetzt... jetzt will ich fort von hier.«
»Aber meine Königin. Nicht nur, dass es Nacht ist! In der Ferne grollt’s – dort wo die warme Luft des Sommers sich mit der kühlen des Herbstes trifft. Ein Unwetter scheint aufzuziehen!«
»Es ist mir gleich. Wir fahren!«
Bis zum Morgengrauen glich die Wolkenwand zwar einer dunklen Decke, doch noch war sie ausreichend, um sämtliches Nass aufzusaugen. Erst dann entlud sich der Regen, nicht in Tropfen vom Himmel hinabstürzend, sondern wie eine Wand, die Bathildis’ Kutsche und die Truppen, die den königlichen Wagen begleiteten, einsperrte und von sämtlichen Orten trennte, die Wärme und Trockenheit versprachen. Kalt sprühte es dorthinein, wo die Ledervorhänge aneinanderschlugen, und auch an der Decke wurde manche Ritze zum wasserspuckenden Loch.
Theuderich vergrub sich frierend und weinend in den Schoß der Mutter; Chlothar ergab sich dem Unvermeidlichen mit sturem Gleichmut. Nur Childerich grollte wütend: »Warum sind wir nicht in Noyon geblieben?«
Streng wollte Bathildis antworten, das Prasseln übertönen – das spöttische, speicheltriefende Himmelsgelächter –, doch just, da sie schützend ihren Mantel tiefer zog, traf sie eine neuerliche Unbill. Das Gefährt kam auf dem feuchten Weg ins Rutschen; eines der Scheibenräder schlitterte über die Böschung und kreiste dort hilflos in der Luft, indessen die Achse des Wagens mit einem lauten Knirschen brach und sämtliche Insassen nach links geschleudert wurden.
Noch lauter heulte Theuderich auf.
»Feigling!«, zischte Childerich mit funkelnden Augen.
»Wage nicht, deinen Bruder zu beschimpfen!«, schalt Bathildis, ob der eigenen Unbeherrschtheit sogleich peinlich berührt.
Errötend schob sie den greinenden Theuderich in
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