Die Regentin (German Edition)
mehr erzählt man sich von ihr. Eines Tages, da hat ein Vogel durch sein lautes Schreien denOrden nachts nicht schlafen lassen. Da hat sie ihm befohlen zu schweigen und fortzufliegen – und der Vogel hat es getan.«
»So ist es«, bestätigte Bathildis. »Und weißt du auch, wer uns von ihren Taten berichtet hat?«
Theuderich zögerte.
»Du, Chlothar? Du, Childerich?«
Keiner der beiden rührte sich.
»Fortunatus hat über ihr Leben berichtet«, sprach Bathildis milde, »und auch die Nonne Baudonivia.«
»Du hast vergessen zu erwähnen«, schälte sich plötzlich Childerichs Stimme hervor, klar und deutlich und voller scharfem Spott, »dass die Heilige Radegunde eine Frau war, die die Grausamkeit zutiefst verachtete.«
Bathildis drehte sich nach ihm um. In dem düsteren Inneren der Kutsche fiel es ihr schwer, in seinen Zügen zu lesen, doch allein der Klang seiner Stimme verriet ihr, dass diese Worte nur für sie gedacht waren, nicht für die Brüder, und dass er nicht die Geschichte der Heiligen Radegunde vervollständigen wollte, sondern ihr zusetzen.
Schon fuhr er fort: »Du hast noch nicht erzählt, Mutter, aus welchem Grunde sie den König verließ, auf ihre Macht verzichtete und lieber in das Kloster ging. Soll ich es für dich tun? Es verhielt sich so, dass der König heimlich und ohne ihr Wissen ihren Bruder hatte töten lassen, welcher ein Verräter war und nach Konstantinopel hat fliehen wollen.«
»Er war kein Verräter!«, entgegnete Bathildis scharf. »Was wäre er dem König denn schuldig gewesen, wo jener ihn doch aus seiner thüringischen Heimat verschleppt und all seine Verwandten ermordet hatte... bis auf Radegunde selbst?«
»War sie eigentlich Sklavin wie du, ehe der König sie zu seiner Gattin machte?«
Wieder klang Verachtung in seiner Stimme mit. Selbst der kleine Theuderich schien sie zu hören, denn unbehaglich presste er sich noch enger an die Mutter und verbarg seinen Kopf inihrem Schoß. Es war die Wärme, die von seinem kleinen Leib ausging, die sie zur Besinnung brachte. Anstatt sich wütend in den Disput mit ihrem Zweitältesten zu begeben, überging sie dessen Sticheln.
»Es ist genug«, brach sie sämtliches Erzählen ab und ging wieder in entschlossenes Schweigen über.
Freilich schenkte ihr jenes so wenig Frieden wie vorhin, war getränkt von den Worten Childerichs und dem, was unausgesprochen geblieben war. Radegundes Leben glich in vielem dem ihren... könnte ihm noch mehr gleichen, wenn sie es sich zum Vorbild nähme, wenn sie auf gleiche Weise auf Grausamkeit antwortete – damals vom König begangen, heute von Ebroin.
Es ist genug.
Diese Worte mochten Radegundes Rückzug ins Kloster besiegelt haben. Eine Grenze hatte sie ziehen wollen zwischen dem König und sich, auf dass er alleine mit seinen Sünden bliebe, sie aber davon reingewaschen würde.
Ja, dieser Weg stand auch ihr offen – die Regentschaft aufzugeben, sich in eines der Klöster zurückzuziehen, das sie gestiftet hatte, ohne Gesichtsverlust, denn niemand konnte es ihr als Feigheit auslegen, wenn sie sich dem Himmlischen Vater anheimstellte. Nicht zuletzt aus diesem Grunde war sie zu der Reise aufgebrochen. Denn noch war eine Flucht vor der Macht nicht verlockend für Bathildis. Noch bedurfte es einer anderen, weisen Stimme, eines Ratgebers, der ihr vor Augen führte, was sie zu tun hatte, in gleicher Weise, wie er nach Chlodwigs Tod ihre Pflichten benannt hatte.
Eligius.
Der Bischof von Noyon.
Bei dem Gedanken an seinen verhangenen, stets leidvollen Blick vermochte Bathildis sich zurückzulehnen, die Augen zu schließen. Die anderen Bischöfe ließen sich von den Ereignissen verwirren oder verärgern, gaben ihr die Schuld daran oder den Rat, nichts zu unternehmen – doch Eligius war anders, würdesie verstehen, würde ihr die Last vom Gewissen nehmen, indem er sagte, was zu tun war.
Ja, so würde es sein.
Ebroin mochte sie in eine schreckliche Zwangslage gebracht haben, doch sie war nicht allein damit, nicht allein...
Sie musste eingeschlafen sein, denn als sie wieder hochschreckte, war es nicht länger düster grau in der Kutsche, sondern pechschwarz. Eine Weile wusste sie nicht, wo sie war. Dann spürte sie den gleichfalls schlafenden Theuderich auf ihren Schoß, und als die Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, gewahrte sie auch die beiden ältesten, die aneinandergerutscht eingenickt waren.
Erst jetzt bemerkte sie, was sie geweckt hatte und was sie sich unwillkürlich versteifen
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