Die Regentin (German Edition)
Segen ist’s, dass sie keine Schmerzen spüren, weil ohnehin das meiste abgestorben ist. Ein Fluch hingegen, dass sie sich darum viel leichter verbrennen, wenn sie zu nahe an das wärmende Feuer treten. Sie bemerken auch nicht, wenn des Nachts Ratten ihre Schlafstatt teilen und an ihrem Leib zu beißen beginnen. Sie verschlafen’s, weil es nicht weh tut...«
Angewidert presste Bathildis ihre Hände noch stärker aufs Gesicht.
»Ich habe gehört, du willst mir Gesellschaft leisten«, sprach Sadalberga ungerührt fort. »Dann komm mit in die Küche... ich bereite das Mahl für meine Schwestern vor.«
Trotz ihres Ekels riss Bathildis überrascht die Augen auf. Eine schwere Aufgabe mochte es sein, die Aussätzigen zu pflegen, doch stand sie einem frommen Menschen gut an. Wie viel schändlicher hingegen war Küchenarbeit!
»Ich bin Bathildis«, sprach sie forsch, »die Königin von...«
»Ich weiß, wer du bist«, entgegnete Sadalberga mit der Andeutung eines Lächelns. »Hält dich das davon ab, mir zur Hand zu gehen?«
Schon war sie an Bathildis vorbeigetreten, um zügigen Schrittes zu den Wirtschaftsräumen zu gelangen.
»Glaub nicht, ich könnte nicht arbeiten«, sagte Bathildis mit leisem Groll ob der Missachtung.
Sadalberga überhörte den Ärger. »Dann ist es gut«, sprach sie nur.
In der Küche betrachtete Bathildis sie genauer. Nun, da Sadalberga ihren Blick erwiderte, erkannte sie, dass nur das eine Auge der Nonne lebendig blitzte, das andere jedoch völlig bewegungslos und unter einer grauen Schicht vergraben war, die von der schwarzen Pupille nur einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Punkt freiließ.
»Ich bin auf einem Auge blind«, erklärte Sadalberga, als hätte sie die stille Frage erahnt, die in Bathildis’ beobachtendem Blick lag. »So war es immer schon. Eigentlich bin ich blind geboren, konnte nichts erkennen außer Schatten. Als man es merkte, war mein Vater so entsetzt, dass er mich töten wollte. Nicht anders ließe sich die Blindheit erklären als mit schwerer Sünde.«
Bathildis nickte.
»Nun, auch meine Mutter hielt mich für eine Frucht schwerer Sünde. Doch größer noch schien ihr das Vergehen zu sein, mich heimlich zu morden. So täuschte sie meinen Tod vor, übergab mich einer Amme, und jene nährte mich an ihrer Stelle.«
»Und wie wurdest du geheilt?«, fragte Bathildis.
»Gott schickte mir einen Mann, dem Er eine besondere Gabe geschenkt hatte. Jener kam wortlos, erklärte sich meiner Amme nicht, legte seine Hand auf mein Gesicht – und hernach konnte ich sehen, zumindest auf dem einen Auge. Der Mann war Eustasius, er war ein Heiliger.«
»Wenn der Schatten einer solchen Gnade auf dich fiel, konnte dich dein Vater gewiss nicht mehr morden!«, rief Bathildis aus.
»Nun, jetzo wollte er es auch nicht mehr. Nicht länger blind, war ich ihm nützlich. Er suchte das Bündnis mit einem Grafen, welcher Richramn hieß, und gab mich ihm zur Frau, als ich kaum der Kindheit entwachsen war. Die Wahl war keine schlechte. Richramn war ein guter Mann, freundlich zu den Armen, behutsam zu mir. Er starb zwei Monate, nachdem wir die Ehe geschlossen hatten.«
Sie hatte ihren Blick wieder abgewendet, widmete sich ihrer Aufgabe. Das Mahl, das sie bereiten wollte, war schlicht. Vor ihr ausgebreitet lagen getrocknete Erbsen, Linsen und Bohnen, weiße Rüben und Wurzeln des Waldes. Alles schien entweder verdorrt oder verwelkt und ähnelte sich auch in der Farbe, die mehr ins Braune ging, als ein frisches, saftiges Grün zu zeigen.
»Und dann hast du dich Gott geweiht?«, fragte Bathildis. Eswar ihr nicht entgangen, dass sich Sadalberga, wiewohl von den Aussätzigen kommend, nicht die Hände wusch.
»Ich wollte es!«, erwiderte die Nonne. »Ich wollte es von ganzem Herzen! Vielleicht hast du von Romarich gehört, dem großen Büßer. Er ging in die Vogesen, eine unwirtliche Gegend, um dort ein Kloster zu gründen – und wie gerne wäre ich ihm gefolgt, auf dass dort nicht nur Männer Gott dienten, sondern auch Frauen.«
»Aber dein Vater hat dir’s nicht gestattet?«
»Diesmal war’s König Dagobert selbst, der andere Pläne mit mir hatte. Mein Vater fügte sich seinem Wunsch, übergab mich an einen gewissen Blandinus. So währte meine erste Witwenschaft nur zwei Jahre, nicht ein Leben lang, wie ich’s erhoffte. Doch war es eben Gottes Wunsch, und jener schenkte mir fünf Kinder. Allesamt dienen sie ihm heute. Und das ist doch besser, als wär’s nur ich allein, nicht wahr?«
»Sie
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