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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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verachtet: Macht und Besitz. Ihr scheint es nicht zu wissen, doch unsere Äbtissin ist keine gewöhnliche Nonne... es ist Sadalberga, und sie steht im ganzen Land im Rufe, eine von Gott Erwählte, eine Heilige zu sein...«
    Die andere nickte bekräftigend und zugleich ehrfürchtig.
    Bei den letzten Worten flammte in Bathildis der Kummer über Eligius wieder auf.
    »Wenn es so ist, dann bringt mich zu ihr«, sprach sie nachdenklich. »Dann will ich um ihren Segen bitten.«
    Sie selbst hatte noch nie von jener Sadalberga gehört. Erst jetzt, da sie der Nonne durch schmucklose Wände und gebogenen Decken folgte, erfuhr sie von ihrem Leben. Obgleich sie den Worten lauschte, war sie geistesabwesend. Die Stille, durch die sie schritten, die Schlichtheit und Gedämpftheit aller Laute, erinnerten sie an das Kloster ihrer Kindheit.
    Die Spuren jener Zeit waren während der letzten Jahre verschüttet gewesen. Unbedeutend und ereignislos deuchte sie alles, was vor dem Angriff der Friesen geschehen war. Erst jetzt erwachte leise Sehnsucht nach jenem Hort, wo ihr Wesen – streng geleitet und nur wenigen Reizen ausgesetzt – noch nicht zerrissen gewesen war, noch nicht umkämpft von diesem oder jenem Wollen.
    »Nach ihrer Ehe suchte unsere Mutter die Einsamkeit«, berichtete die Nonne über Sadalberga. »Jahrelang zog sie sich in die Einöde zurück, lebte von den Früchten des Waldes und wildem Honig und konnte mit den Tieren sprechen. Selbst die wildesten unter ihnen, die Bären und Wölfe, fassten Zutrauen zu ihr.«
    Eines Tages, so fuhr sie fort, war der Ruf Gottes an sie gegangen: Nicht länger Eremitin sollte sie sein, sondern eine Gemeinschaft gründen. Dies tat sie – zuerst in der Nähe von Luxeuil, dann hier bei Lyon.
    »Doch dem einfachen Leben hat sie auch als Äbtissin nicht abgeschworen«, schloss die Schwester, »sie eifert ihren Vorbildern nach – der Heiligen Melania und der heiligen Paula –, und wie jene ist sie sich nicht zu schade, die niedrigsten Dienste zu verrichten. Kaum werdet Ihr sie in der Amtsstube finden. Die meiste Zeit verbringt sie... hier.«
    Wieder umfasste Bathildis’ noch feuchten Kopf ein eisig kalter Wind. Er kam von draußen, denn der kahle Raum, in den die Nonne sie geführt hatte, war zum Hofe hin geöffnet. Der Regen hatte zwischenzeitig nachgelassen; der Sturm wehte jedoch immernoch scharf, wiewohl nicht ausreichend, um den scheußlichen Gestank fortzutreiben, der über dieser Stätte hing. Bathildis folgte der ersten Regung, die sie überkam, und schlug sich beide Hände vor Mund und Nase. Vom schauderhaften Anblick konnte sie sich solcherart jedoch nicht bewahren.
    Jene Aussätzigen, von denen ihr vorhin berichtet worden war, dass sie hier Hilfe fänden, scharten sich um eine kleine Frau, nicht größer als ein Kind und ebenso feingliedrig. Ihre Statur glich jener Rigunths, nur war ihre Haut nicht bleich, sondern braun gegerbt, und ihre Hände waren so rot, als hätten sie sich an heißem Wasser verbrüht. Das Zupacken schienen sie gewohnt zu sein – und taten das auch jetzt.
    Auch als die Nonne zu ihr trat und ihr etwas ins Ohr raunte, drehte sich Sadalberga nicht nach Bathildis um, sondern fuhr mit ihrem Werk fort: Sie brach Brot in kleine Stücke und übergab sie den Kranken. Sie verband die nässenden Wunden der Kranken. Und vor einem der Männer – die Lepra hatte sein Gesicht bereits zerfressen – kniete sie sich nieder, um ihm die zerschlissenen Schuhe auszuziehen und ihm die Füße zu waschen.
    Rasch wandte sich Bathildis von dem Anblick ab, von dem es hieß, dass er den Betrachter vergiften konnte. Auf ihren Reisen war es häufig geschehen, dass Aussätzige sich ihrem Wagen näherten, sich von der Gegenwart der Königin Linderung erhofften. Manchmal hatte sie begütigend eingegriffen, als man jene mit Fußtritten wegjagen wollte, und hatte dafür gesorgt, dass sie zu essen bekämen.
    Doch unvorstellbar war für Bathildis, dass jemand die Kranken freiwillig berührte, wusch und pflegte. Nun, vielleicht wähnte sich Sadalberga ob ihres gottgefälligen Lebens vor der Krankheit gefeit – Bathildis jedoch trat rasch zurück, nicht sicher, ob ihr Aunemunds Tod nicht auf solch grauenvolle Weise heimgezahlt werden könnte.
    Abgewandt verharrend merkte sie nicht, dass Sadalberga schließlich von den Kranken abließ und zu ihr trat.
    »Die Nässe setzt ihnen zu«, sagte Sadalberga, als wäre Bathildis nur eine ihrer Nonnen, »manch eines der Glieder fault dann umso mehr. Ein

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