Die Reise in die Dunkelheit
flüchtete zur nächsten Auslage. Der Junge schmunzelte nur.
Es dauerte nicht lange, bis sie einen Stand mit Schutzausrüstung fanden. Das Sortiment war passabel: gebrauchte Gasmasken, Filter, hellgrüne ABC -Schutzanzüge. Der kräftig gebaute Verkäufer hatte anscheinend selbst eine Vergangenheit als Stalker. Sein Gesicht war von einer hässlichen Narbe entstellt, die sich von der Wange über den Hals bis zum Hemdkragen zog . A us seinem rechten Ärmel ragte anstelle der Hand nur ein Stumpf.
Als der Verkäufer die Kinder erblickte, setzte er eine strenge Miene auf und schickte sich an, die beiden minderjährigen Gaffer zu verscheuchen. Doch Gleb kam ihm zuvor.
»Was kosten die Schnüffeltüten?«, erkundigte er sich.
»Sieh mal einer an!« Der Händler grinste breit und knuffte seinen Nachbarn am Messerstand in die Seite. »Hast du gehört, Petro? Der Herr wünscht eine Schnüffeltüte.«
Er sprach absichtlich laut, und schon bald beobachteten mehrere Verkäufer amüsiert die Szenerie.
»Was willst du dafür?«, fragte der Junge pikiert.
»Du wirst doch nicht an die Oberfläche wollen, Kindchen? Pass lieber auf, dass du deine Hose nicht verlierst.«
Die Händler quittierten den plumpen Scherz mit wieherndem Gelächter. Der Junge dagegen fand das überhaupt nicht zum Lachen. Er durchbohrte das Narbengesicht mit einem vernichtenden Blick, trat vom Verkaufsstand zurück und nickte Aurora aufmunternd zu.
»Komm, wir versuchen es woanders.«
»He, Junge, warte mal!«, rief ihnen jemand hinterher.
Gleb wandte sich um. Vor ihm stand ein langer, dürrer, ungekämmter Typ mit Ziegenbart, eingefallenem Gesicht und vergilbten Augäpfeln. Wären da nicht der berechnende Blick und der dreiste Ton gewesen, man hätte ihn für einen gewöhnlichen Bettler halten können, von denen es an der Station jede Menge gab.
»Ihr braucht Gasmasken?«
Gleb nickte.
»Kommt mit mir. Das ist hier ganz in der Nähe …«
»Aber wir haben keine Patronen«, wandte der Junge ein.
»Macht nichts. Wir einigen uns schon …«, erwiderte der Mann und tauchte in die Menge.
Die nebulöse Antwort machte Gleb ein wenig misstrauisch. Trotzdem fasste er Aurora an der Hand und folgte dem Spitzbart durch das Gewühl. Sie überquerten den gesamten Bahnsteig, zwängten sich durch den schmalen Korridor eines Kabelschachts und kamen schließlich – bereits jenseits der Station – an einem alten Wartungsstützpunkt heraus.
Hier blieb der Unbekannte stehen, setzte ein diabolisches Grinsen auf und stieß einen Pfiff auf zwei Fingern aus. Daraufhin traten drei groß gewachsene Kerle aus der Dunkelheit, die graue Arbeitsklamotten trugen. Gleb wusste sofort, mit wem er es zu tun hatte. Es waren Pilzzüchter von der Station Uliza Dybenko – abgesehen von den Veganern die einzigen Drogendealer, die es geschafft hatten, die ganze Metro mit ihrem Stoff zu überschwemmen.
Der Mittlere der drei war mit einem Sturmgewehr bewaffnet. Der Typ links von ihm hielt eine Art Eigenbauflinte in der Hand und musterte die Ankömmlinge mit prüfendem Blick.
»Gut gebaut, das Mädel! Aber wozu, zum Henker, hast du den Jungen angeschleppt?«
Gleb konnte gar nicht so schnell schauen, wie zwei von den Schurken sich Aurora krallten und über das Gleis zerrten . A ls er hinterherstürzte, zog ihm der Dritte den Gewehrschaft über den Kopf. Im ersten Moment sah der Junge nur noch Sternchen. Dann wurde es auf einmal dunkel. Geräusche klangen gedämpft wie unter Wasser. Etwas Warmes, Klebriges rann ihm über die Stirn und in die Augen. Blut, dachte er benommen.
Gleb lag am Boden und konnte nichts sehen. Verzweifelt tastete er die Wand ab. Er suchte nach irgendeinem Halt, um sich hochzuziehen. Die Schreie seiner Weggefährtin gingen ihm durch Mark und Bein. Fieberhaft überlegte er, wie er ihr helfen konnte. In seinem Kopf wüteten pulsierende Schmerzen und Übelkeit stieg in ihm auf. Endlich bekam er ein Kabel zu fassen und schaffte es, sich aufzurichten.
»Da, hast du dir verdient«, sagte eine Stimme ganz in der Nähe.
Gleb schaute, sah aber nur schemenhaft . A llmählich wurden die verschwommenen Konturen der Gestalten schärfer. Da war der Typ mit dem Ziegenbart. Er trat ungeduldig von einem Bein auf das andere und machte sich an einem transparenten Plastiktütchen zu schaffen, in dem sich eine schwarze, zähflüssige Masse befand.
»Hau ab jetzt!«
Der Junkie sah sich verstohlen um, stopfte den Stoff in seine Hosentasche und lief davon.
Gleb konzentrierte den
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