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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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Verzweiflung trieb und die ihr menschliches Antlitz deshalb manchmal verloren …
    Schniefend trottete das Mädchen dahin und wischte sich alle paar Meter mit dem Ärmel über die Augen. Sie wurde immer langsamer und blieb schließlich ganz stehen. Ihr Oberkörper bebte so heftig, dass ihr der Stoffbeutel von der Schulter rutschte.
    »Komm schon!«, sprach Gleb auf sie ein. »Verlier nicht die Nerven.«
    Er nahm das Mädchen bei der Hand und zog es wie ein kleines Kind hinter sich her. Das Schniefen hörte auf . A urora drückte die Hand ihres Weggefährten, als hätte sie nur darauf gewartet, sich an jemandem festhalten zu können. Dass sie Hand in Hand mit einem »Wilden« ging, schien die eingebildete Prinzessin völlig vergessen zu haben.
    Als der Schein der Taschenlampe auf den schwarzen Schlund eines Seitengangs fiel, übertrug sich Auroras Unruhe auch auf Gleb, so sehr sich der Junge auch zusammennahm . A n diese Stelle konnte er sich noch vom Hinweg erinnern. Damals war dieser Gang jedoch zugemauert und zusätzlich mit Brettern verbarrikadiert gewesen. Solche Sicherheitsmaßnahmen waren üblich, damit keine ungebetenen Gäste von der Oberfläche in die Metrotunnel gelangten. Nun lagen die Bretter im Umkreis von mehreren Metern verstreut und in der Mauerung klaffte ein riesiges Loch.
    Gleb blieb abrupt stehen, um sich die Bresche genauer anzusehen . A urora lief auf ihn auf und verharrte erschrocken an seiner Seite. Im Tunnel herrschte angespannte Stille. So angestrengt der Junge auch lauschte, außer dem stockenden Atem seiner Begleiterin war nichts zu hören. Wer hatte den Gang aufgebrochen? Ein Mutant oder ein Mensch? Gleb verspürte keine große Lust, dieser Frage nachzugehen.
    Dicht an die gegenüberliegende Tunnelwand gedrängt, schoben sich die Kinder langsam an dem furchterregenden schwarzen Loch vorbei. Gleb wollte schon wieder ein normales Tempo anschlagen, als seine Weggefährtin urplötzlich stehen blieb und einen erstickten Schrei ausstieß. In Auroras Augen stand das blanke Entsetzen.
    »Was ist los?«, flüsterte der Junge.
    »Irgendwas hält mich fest!«, wimmerte das Mädchen und schien sich krampfhaft von etwas losreißen zu wollen.
    Gleb konnte die Lampe nicht mehr ruhig halten. Seine Kehle trocknete aus. Langsam richtete er den störrischen Lichtstrahl nach unten und … atmete erleichtert auf. Ein Nagel. Nichts weiter als ein alberner Nagel, der aus einem Brett herausstand, verdammt!
    Als Aurora die Reaktion ihres Begleiters bemerkte, erfasste sie die Situation, bückte sich und riss wütend das Hosenbein von der rostigen Spitze. Sie lächelte verstört und zuckte mit den Achseln. Dann setzte sie sich an die Tunnelwand und fing hemmungslos zu heulen an.
    Der Junge wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Taran hatte ihn in schwierigen Situationen niemals getröstet, sondern stets mit ernüchternder Härte reagiert. Doch Gleb konnte sich nicht vorstellen, dass ein derart grobes Vorgehen bei diesem sensiblen Mädchen hilfreich war. Nach kurzem Überlegen setzte er sich neben sie, legte ihr vorsichtig den Arm um die Schultern und streichelte ihr tröstend über den Kopf.
    So saßen sie minutenlang schweigend da.
    »Du bist lieb«, sagte Aurora, als sie sich beruhigt hatte. »Und schon gar kein Wilder.«
    Der Junge wurde verlegen. Statt etwas zu sagen, stand er auf, schnappte sich das vermaledeite Brett und operierte den langen, rostigen Nagel heraus. Nicht gerade eine furchteinflößende Waffe, aber besser als nichts.
    Nachdem Gleb seine Beute im Ärmelumschlag verstaut hatte, zog er seine Weggefährtin energisch wieder auf die Beine, und die beiden Ausbrecher setzten ihren Weg fort.
    Aurora schämte sich offenbar dafür, eine Schwäche gezeigt zu haben. Bis zum Kontrollposten der Station war kein Mucks mehr von ihr zu hören.
    Die Ploschtschad Wosstanija empfing die beiden mit dem üblichen Lärm und hektischer Betriebsamkeit. Der Handel war bei den Moskowitern ganz groß geschrieben . A uf den Verkaufsständen türmten sich Waren für jeden Geschmack und Geldbeutel. Die Auswahl war fast so groß wie auf den Märkten am Stationsknoten Sadowaja-Sennaja-Spasskaja .
    Obwohl Gleb nicht eine einzige Patrone besaß, führte er seine Weggefährtin an den Auslagen entlang, wo sich Marktschreier und Kundschaft aus der ganzen Umgebung drängten.
    Als sie an einem Fleischwarenstand vorbeikamen, über dem in Reih und Glied abgezogene Rattenkadaver hingen, hielt Aurora sich Mund und Nase zu und

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