Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Gang, der nicht hoch genug war, dass er aufrecht stehen konnte. Feucht und muffig roch es, aber das war tausendmal besser als die alles verschlingende Hitze, die in der Burg wütete. Es ging einige Stufen hinunter, schon nach wenigen Ellen versickerte auch das letzte Quäntchen Licht. Karl tastete sich vorwärts, zuckte zurück, als etwas feuchtes Glitschiges über seine Hand lief. Hinter sich hörte er, wie der letzte Mann die Geheimtür wieder schloss.
Zumindest konnte das Feuer sie hier nicht erreichen. Und sie würden auch nicht ersticken, denn der muffige Geruch war inzwischen einem frischeren gewichen. Der Gang besaß eine Frischluftzufuhr, so wie es auf dem Plan verzeichnet war.
Die Männer tasteten sich die Stufen hinunter. Gemeinsam folgten sie dem Gang, bis er vor einer Mauer abrupt endete. Jetzt mussten sie nur noch warten, bis Matyas sie hier herausholte, und beten, dass ihre Feinde die Geheimtür nicht fanden. Und dass der Palas nicht einstürzte und sie unter sich begrub.
Karl lehnte sich gegen die kühle Mauer. Er hatte seinen Gegner unterschätzt! Dass in Pasovary eine Falle aufgestellt war, damit hatte er gerechnet. Der halb verbrannte Brief, der angeblich von Vita Belcredi verfasst worden war, hatte förmlich nach einem Hinterhalt gerochen. Aber letztlich hatte bei ihm die Neugier über die Vorsicht gesiegt. Er musste zugeben, dass die List gelungen war.
Karl befahl den Männern, es sich so gut es ging bequem zu machen. Sie würden eine Weile ausharren müssen. Der dümmste Fehler wäre jetzt, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Zu groß war die Gefahr, dass ihre Feinde sie, wo immer sie den Geheimgang verließen, entdeckten und der Reihe nach erlegten wie die Rebhühner. Sie mussten so lange hierbleiben, wie es ging, auch wenn es eng und dunkel war und bald Exkremente die Luft verpesten würden.
***
Der eisige Wind schnitt Engelbert von der Hardenburg ins Gesicht. Trotz der Lappen, die er sich um den Kopf gewickelt hatte, spürte er seine Wangen kaum noch, seine Ohren schienen zu Eis gefroren. Frost war über das Land hereingebrochen, aber immerhin war der Himmel in der Nacht klar gewesen und der Mond hell genug, um gefahrlos weiterzureiten. Die Pferde waren am Ende ihrer Kräfte, aber sie hatten es geschafft. Bohumir und er waren heil in Prag angekommen.
Die Wachen ließen sie sofort passieren. Bohumir wartete im Hof, während Engelbert in den Palas eilte und verlangte, unverzüglich den König zu sprechen. Doch seine Bitte wurde abgelehnt. Die Königin ließ ihm ausrichten, Karl liege danieder, ein fiebriger Infekt, die Ärzte hätten ihm jede Aufregung verboten, und jeden Kontakt zu Reisenden. Zu groß sei die Gefahr, dass sich der König in seinem geschwächten Zustand mit anderen Krankheiten anstecke. Selbst Montfort war nicht zu erweichen.
Also musste Engelbert selbst entscheiden. Er ließ Karl die Reliquie und einen Brief übergeben, in dem er ihn über die Vorfälle in Kenntnis setzte.
Dann bat er Montfort, ihn zum Hofalchimisten, Hartat von Jungenberg, vorzulassen. Wenigstens dieser Wunsch wurde ihm erfüllt.
Hartats Kammer lag in einem Seitenflügel des Palas und war ausgestattet mit allem, was das Herz eines Alchimisten höherschlagen ließ. Fläschchen, Dosen und Krüge mit allerlei Substanzen füllten die Regale, dazu eine beträchtliche Anzahl wertvoll aussehender, ledergebundener Bücher.
Hartat nahm das Stück Pergament, das Engelbert ihm reichte, vorsichtig in die Hand, drehte und wendete es und studierte es dann von beiden Seiten mit Hilfe einer dicken Glasscheibe, die alles größer erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war.
»Nichts zu sehen. Ausgezeichnet.« Er feuchtete einen Zeigefinger mit Wasser an, tupfte damit auf dem Pergament herum und leckte dann mit der Zunge vorsichtig über die Fingerspitze.
»Ihr habt Recht, Engelbert von der Hardenburg. Es ist Bleizucker. Aber es hätte genauso gut Arsen sein können. Ich habe nur eine winzige Menge probiert, Ihr habt das Pergament vermutlich abgeleckt wie ein Hund einen Knochen. Die Tatsache, dass Ihr noch lebt, habt Ihr nur dem Umstand zu verdanken, dass der Verfasser dieses Liebesbriefchens nicht davon ausging, dass jemand es finden würde. Ansonsten wärt Ihr vermutlich vergiftet worden.« Er lächelte Engelbert an. »Ihr müsst es eilig gehabt haben. So eilig, dass Ihr alle Vorsicht habt fahren lassen.«
Engelbert schluckte. Er hatte wirklich unverschämtes Glück gehabt. »Gott beschützt seine Schäfchen,
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