Die Rettung
auch, man hatte ja alle Zeit der Welt, um irgendwo hinzukommen. Ich habe nie erlebt, dass jemand in Eile war. Niemand besaß eine Armbanduhr oder überhaupt eine Art Uhr, sie richteten sich nur nach dem Stand der Sonne. Ich glaube, in diesem Land hatte keiner eine Ahnung, wie lang eine Minute ist, und keinen schien das auch groß zu interessieren.«
»Kühlschränke gab es doch damals auch nicht. Ist er von den verdorbenen Lebensmitteln denn nicht krank geworden?«
»Rinder und Schafe wurden erst geschlachtet, wenn man das Fleisch brauchte.« Bei der Erinnerung nahm Codys Gesicht einen verträumten Ausdruck an, und sie streckte eine Hand nach Barri aus. »Es gibt nichts Besseres als Rindfleisch, das kurz nach dem Schlachten über dem Feuer gebraten wird.« Barri rümpfte die Nase, was Codys Begeisterung keinen Abbruch tat. »Es schmeckt wirklich köstlich. Ich meine, was man in dieser Zeit zu essen bekam, war einfach zubereitet, und die Auswahl war nicht sehr groß, aber irgendwie ... irgendwie war der Eigengeschmack viel intensiver. Nichts war mit Konservierungsmitteln, Zusätzen oder Farbstoffen versetzt. Es klingt komisch, aber nach ein paar Tagen war ich schon so weit, dass mir sogar die Aschereste und die angebrannten Stellen am Brot nichts mehr ausgemacht haben.«
»Hatten ... hatten die Leute da nicht alle Läuse oder Flöhe? Damals kannte man doch noch kein Insektenspray.«
Cody lachte und legte sich ihren Sohn bequemer in der Armbeuge zurecht. »Also ich kann mich nicht erinnern, mir jemals Insektenspray ins Haar gesprüht zu haben. Aber die Leute dort achteten genauso auf Körperhygiene wie wir.« Ein Schatten flog über ihr Gesicht. »Na ja, nicht alle. Aber die meisten Menschen, die ich kennen gelernt habe, hielten sich so sauber wie möglich. Sie benutzten Kämme mit ganz feinen Zähnen.« Mit Daumen und Zeigefinger demonstrierte sie den geringen Abstand. »Damit ließ sich jede Art von Ungeziefer entfernen. Und sie benutzten Seife. Ich glaube, die wurde aus Asche hergestellt. Wie gesagt, das Leben war damals sehr primitiv, aber das war für Dylan zweitrangig. Für ihn zählten nur die Menschen, unter denen er lebte.«
Die Bemerkung traf Barri wie ein Schlag. »Er ist in die Vergangenheit zurückgekehrt, um da mit lauter Fremden zusammenzuleben?«
Cody streckte eine Hand aus, um ihr tröstend über den Arm zu streichen, doch Barri achtete nicht darauf. »Das hat doch mit Ihnen nichts zu tun, Mrs. Matheson. Es ist ihm sehr schwer gefallen, Sie zu verlassen. Aber denken Sie doch einmal über seine Situation nach. Was hielt ihn denn hier? Doch nur Sie. Mit seinem Vater hat er sich nie verstanden, und außer ein paar entfernten Cousins hatte er ja keine Verwandte. Keine Frau, keine Kinder - als er nach Schottland zurückging, hatte er ja noch nicht einmal eine Freundin. Und dort warteten nicht nur seine Frau und sein Sohn auf ihn, sondern eine ganze riesige Familie, der er sehr nahe stand.«
Cody hielt inne, überlegte einen Moment und sprach dann weiter. »Ich glaube, er war glücklich dort, weil er genau in diese Zeit und in dieses Land gehörte. Dylan wusste schon immer ganz genau, was er wollte, nicht wahr?« Barri nickte. Ihr Sohn hatte stets einen sehr starken Willen bewiesen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte er es auch aus, koste es, was es wolle. Cody fuhr fort: »Ich denke, er hat beschlossen, ein Teil dieses Clans zu werden und auch zu bleiben. Er ging nicht nur zurück, um seine Frau und seinen Sohn wiederzusehen, sondern auch weil er spürte, dass es ihm bestimmt war, in diesem Jahrhundert zu leben. Die Mitglieder des Clans respektierten ihn. Sein Wort galt etwas. Und ich habe selbst gesehen, dass viele Menschen ihn sehr bewunderten.«
»Wirklich?« Barri konnte sich nicht helfen, ihr stieg vor Stolz das Blut in die Wangen.
Cody nickte. »Er war glücklich dort, Mrs. Matheson. Sogar nach dem Tod seiner Frau hatte das Leben für ihn noch einen Sinn. Er war nämlich davon überzeugt, dass er aus einem ganz bestimmten Grund in eben dieses Jahrhundert geschickt wurde.«
Während Barri ihr zuhörte, begriff sie plötzlich, welch grundlegende Veränderung mit ihr vorgegangen war. Jetzt glaubte auch sie daran, dass ihr Sohn verschwunden war, um im Schottland des 18. Jahrhunderts zu leben. In diesem Wissen fand sie etwas Trost. Er war fortgegangen, um dort zu leben. Vielleicht war ihm sogar ein langes, erfülltes Leben vergönnt gewesen, wenn auch in einer anderen
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