Die Rettung
dass sie mit einer tödlichen Waffe umzugehen verstand.
Kenneth erstarrte. Unsicher blickte er Cody an.
»Ich bringe Ihre Frau jetzt in die Notaufnahme, und Sie werden mich nicht daran hindern«, sagte sie ruhig. »Sie werden noch nicht einmal versuchen, mich daran zu hindern, weil ich Ihnen sonst nämlich dieses Messer in die Kehle bohre.«
»Nur zu.« Er zuckte lässig die Schultern, aber er hatte Angst, das war ihm deutlich anzumerken. »Versuch's nur. Ich bringe dich um, du Miststück!«
»Ich habe schon einmal einen Mann erstochen. Glauben Sie nur nicht, ich hätte Skrupel, es wieder zu tun.« Codys Stimme klang ruhig und sachlich. Barri, die vor Furcht kaum Luft holen konnte, wusste, dass sie es ernst meinte. Teils wünschte sie, Kenneth würde es darauf ankommen lassen, teils hatte sie Angst davor. Und eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf fragte, welchen Mann Cody wohl erstochen haben mochte, doch sie achtete nicht darauf.
Kenneth wich langsam zurück und sank wieder in seinen Sessel. Abfällig knurrte er: »Du bist genau wie er.«
Cody legte das Messer außerhalb seiner Reichweite auf den Boden, dann half sie Barri hoch, ehe sie sich zu Kenneth umdrehte. »Ich betrachte das als Kompliment.«
Barri musste trotz ihrer Schmerzen lächeln.
Der Weg bis zu Codys Auto war eine einzige Qual. Kenneth brüllte ihnen nach, sie sollten sich zum Teufel scheren und es ja nicht wagen, je wieder einen Fuß in dieses Haus zu setzen. Das war seine Art, das Gesicht zu wahren - er verlangte auf diese doppeldeutige Weise von ihr, etwas zu tun, was sie ohnehin vorhatte, und tat dann so, als habe sie seinen Befehlen gehorcht. Für gewöhnlich ärgerte sie sich darüber, heute war es ihr egal.
Die Fahrt zum Krankenhaus schien kein Ende nehmen zu wollen. Barri bemühte sich, so vorsichtig wie möglich zu atmen, bekam aber kaum noch Luft. Die Schmerzen wurden immer stärker, sie begann zu husten und spürte zu ihrem Entsetzen einen kupfrigen Blutgeschmack im Mund. Cody hielt vor der Notaufnahme des Krankenhauses, sprang aus dem Wagen und ließ die Tür offen stehen, während sie Hilfe holte. Kurz darauf wurde Barri von ein paar kräftigen Männern auf eine Tragbahre gehoben und in den Untersuchungsraum geschoben.
Irgendwann in all dem Durcheinander verschwand Cody. Barri fragte nach ihr, bekam aber nur zur Antwort, sie solle sich keine Gedanken machen, sie brauche jetzt viel Ruhe. Also würde sie warten müssen, bis sie erfuhr, was Cody über Black Dylan herausgefunden hatte. Im Moment waren andere Dinge wichtiger. Eine Krankenschwester gab ihr eine Spritze gegen die Schmerzen, sie wurde geröntgt, und dann schlief sie eine Weile auf ihrer Tragbahre, die in einen abgedunkelten Flur geschoben worden war. Später kam jemand, um ihr Gesicht und ihre Kleider von der Bratensoße zu säubern und ihr verklebtes Haar zu waschen. Es tat gut, nicht mehr wie ein Mülleimer zu riechen.
Schließlich stellte sich heraus, dass eine ihrer Rippen ge-brachen war und einen kleinen Riss in der Lunge verursacht hatte. Sie wurde stationär aufgenommen und in einem Privatzimmer mit Blumentapete, weicher Bettwäsche und Federkissen untergebracht. Dort verbrachte sie eine unruhige Nacht, während der sie immer wieder wachlag, nachdachte oder dem Knistern der Heizung unter dem Fenster lauschte.
Im Zimmer war es zu warm, alles um sie herum kam ihr merkwürdig unwirklich vor, und die Umrisse der Möbel waren ihr nicht vertraut. Sie überlegte, ob sie nach Hause gehen sollte, begriff dann aber, dass ihre gewohnte Welt vollkommen aus den Fugen geraten war. Nichts würde je wieder so sein wie früher. Es gab keine Sicherheit für sie, es hatte nie eine gegeben und würde auch nie eine geben.
Bilder von Kenneth geisterten an ihr vorbei und hielten sie trotz ihrer Erschöpfung und dem Schlafmittel, das man ihr verabreicht hatte, lange wach. Kenneth, der mit geballter Faust oder irgendeinem gerade greifbaren Gegenstand auf sie losging. Kenneth, der sie wegen eines kleinen Missgeschicks anbrüllte oder sie grundlos vor anderen lächerlich machte. In den vergangenen fünfunddreißig Jahren hatten sich derartige Szenen ständig ereignet, während die Momente, wo der wahre, nüchterne Kenneth Matheson sich zeigte, mit jedem Jahr seltener geworden waren.
Die Stunden verstrichen nur langsam. Der Mond stieg draußen vor ihrem Fenster auf und verschwand wieder. Die Dunkelheit schien ewig anzudauern, die Welt leer und verlassen zu sein. Sie meinte, zwischendurch
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