Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
einladend und mütterlich. Sie hält sich alleine irgendwo hoch oben in den Anden auf, und in vom Mond beschienenen Nächten steigt sie herab und mischt sich hoheitsvoll unter die gewöhnlichen Pferde und manchmal sogar unter die Gauchos. Sie vergießen Tränen und schreien laut auf, wenn sie sie sehen, und manch einer behauptet sogar, schon auf ihr geritten zu sein.
Mit den Patrons ist es genau das Gleiche. Sie beten Belinda aus den unterschiedlichsten Gründen an, vor allem aber, weil sie Angst vor ihr haben. Es war Belinda, die aus Argentinien die führende Nation der Polo-Welt und die Brutstätte der High-Goal-Champions gemacht hat. Sie ist nicht nur launisch, ihr wird auch Bestechlichkeit nachgesagt und dass sie reichlich von ihrem Einfluss Gebrauch macht.
Für gewöhnlich bevorzugt sie die Argentinier, aber in diesem Jahr besagten Gerüchte, dass Doug Matthews als Erster bei ihr landen konnte. Es war eine Nachricht, die als eine Welle der Begeisterung die amerikanischen Polo-Kreise erfasste und bei nordamerikanischen Patrons eine sich rasch ausbreitende Anti-Argie-Raserei auslöste. Die Kosten, um ein Team in die U.S. Open zu bringen, stiegen dieses Jahr auf etwa eine Million Dollar an, und der Preis bestand weiterhin aus nichts anderem als einem tuntigen silbernen Pokal, der weniger als 200 Dollar wert ist. Den Patrons aber war das egal.
Elf hartgesottene Patrons nahmen das hin, ohne mit der Wimper zu zucken, und einer von ihnen, ein mysteriöser schwarzer Scheich aus Nigeria, ging so weit, zwei Teams zu finanzieren – hier und da wurden die Nasen gerümpft, allerdings nur bei den eingefleischten Traditionalisten. Was soll’s, zum Teufel? Was ist beispielsweise dabei, wenn ein Trainer zwei Pferde zum Kentucky Derby ins Rennen schickt? Man nennt das eine Nennung aus Wettgründen, und das ist gängige Praxis.
Im Pferdesport gelten andere Regeln, und schamloses Schummeln wird im Allgemeinen als normal akzeptiert. Widerliche Betrügereien, die einen von jedem anderen Sport, außer bei Hunderennen, ausschließen würden, werden von Pferdemenschen generell bewundert. Es ist das Rechtsempfinden eines Dschingis Khan, der seine eigenen Regeln aufstellte und jeden tötete, der sie brach.
Es gibt eine Menge Regeln beim Polo – tatsächlich sind es zu viele –, doch wenn es darum geht, große Meisterschaften zu kaufen oder zu verkaufen, sind sämtliche Regeln außer Kraft gesetzt. Polo ist schmieriger als Profi-Wrestling und teurer als Kokainkonsum im Endstadium, aber die Reichen haben Gefallen daran gefunden, und viele sind süchtig danach geworden.
Wenn es einen genuinen Sport im Amerika der Neunzigerjahre gibt, dann ist es Polo. Es ist ein gefährliches Spiel, das vollständig von Geld dominiert wird, ohne jeden sozialen Wert, der das ausgleichen würde. Jede Art von Loyalität gilt als Schwäche, die verhöhnt wird, und das Einzige, was irgendeinen halbseidenen Millionär und Pferdegangster davon abhält, sich seinen Weg zum Sieg beim U.S. Open zu erkaufen, sind zehn weitere halbseidene Millionäre und Pferdegangster, die ebenfalls unbedingt gewinnen wollen und die kämpfen bis zum Umfallen, um einen anderen am Siegen zu hindern.
Für das Revlon-Team oder den Milliardärs-Patron Henryk de Kwiatkowski von der Calumet-Farm sind eine Million Dollar gar nichts. Leute von diesem Schlag fliegen ihre Ponys in spezialangefertigten DC-8-Maschinen um die Welt, mit luxuriösen ins Flugzeug eingebauten Ställen, die vierzig oder fünfzig hochgezüchtete Pferde auf einmal befördern können, zusammen mit fünfzehn oder zwanzig Stallburschen und für gewöhnlich einem Dutzend krimineller Zuhälter, die gerade auf der Flucht vor Interpol oder der Mafia sind. Die Polo-Szene ist eine wilde Mischung und auf gefährliche Weise von Narzissmus und Verrat geprägt, und das ist es, was allen so gefällt. Was zählt, ist einzig der Sieg.
Der Unterschied zwischen einem Ten-Goal-Champion und einem elenden, arbeitslosen Three-Goaler liegt im Wesentlichen in der Ernährung. Die besten und hervorstechendsten Spieler in den High-Goal-Kreisen ernähren sich bevorzugt von den Herzen wilder Tiere, während Three-Goalers von Pferdefleisch leben. Keiner von ihnen aber würde darüber sprechen …
Und warum sollten sie auch? Viele Dinge aus der schweißtreibenden düsteren Welt der Polo-Ställe sind bekannt, doch über die Wahrheit wird selten offen ausgesprochen. Der strikte Code der Omertà ist es, der den Sport zusammenhält.
II
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