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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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hatte, er beliebe zu scherzen, war letzte Woche frappiert, als er eine brutale Attacke gegen Muskie ritt, kaum dass der Senator aus Maine seine Kandidatur offiziell verkündet hatte.
    Die Titelseite der Washington Post brachte Fotos beider Männer unter einer großen Schlagzeile sowie McCarthys verbiesterte Warnung, dass er Muskie wegen seiner militanten Fürsprache für den Vietnamkrieg während der Jahre vor 1968 »zur Rechenschaft ziehen« werde. McCarthy beschuldigte Muskie zudem, »der aktivste Repräsentant der Johnson-Regierung beim Parteitag 1968 gewesen zu sein«.
    Muskie schien von diesem Angriff echt erschüttert zu sein. Er berief umgehend eine Pressekonferenz ein, um zu gestehen, dass er sich in Bezug auf Vietnam in der Vergangenheit geirrt habe, und er behauptete, inzwischen »einen Meinungswandel« vollzogen zu haben. Es war wohl etwas heikel, seine neue Position zu erklären, aber nachdem er seine »Fehler in der Vergangenheit« eingeräumt hatte, sagte er, jetzt sei er dafür, »so unverzüglich wie möglich aus Vietnam abzuziehen«.
    McCarthy zuckte nur mit den Achseln. Er hatte seinen Auftritt hinter sich, und Muskie war gehörig aufgeschreckt. Der Senator richtete das ganze Augenmerk auf seine korrigierte Haltung zu Vietnam, aber wahrscheinlich war er weitaus betroffener von McCarthys hässlichem und ressentimentgeladenem Hinweis auf seine Rolle beim Parteitag der Demokraten 1968. Die stieß McCarthy wohl noch immer besonders übel auf, aber Muskie ging gar nicht darauf ein, und niemand fragte Gene, was genau er eigentlich mit seinen Anwürfen gemeint hatte … wahrscheinlich deswegen, weil niemand verstehen konnte, was McCarthy in Chicago widerfahren war, wenn er es nicht an Ort und Stelle miterlebt hatte.
    Ich habe nie etwas gelesen, das auch nur annähernd dem Schock und der Intensität der Gefühle gerecht wurde, die mich während jenes Parteitags heimsuchten … und obwohl ich die ganze Zeit mittendrin steckte, habe ich noch nie darüber schreiben können. Anschließend konnte ich in Colorado zwei ganze Wochen lang nicht einmal darüber reden, ohne in Tränen auszubrechen – und zwar aus Gründen, die ich vielleicht jetzt endlich verstehe, aber immer noch nicht erklären kann.
    Ich fuhr als Journalist dorthin, ohne echte Sympathie für einen der Kandidaten und so gut wie frei von jedweder Illusion, was das Ergebnis betraf … Ich hatte keinen persönlichen Bezug zu der ganzen Sache, und ohne einen solchen Bezug ist wohl niemals zu verstehen, welch höllische Wirkung Chicago auf Gene McCarthy gehabt haben muss.
    Ich erinnere mich, dass ich ihn am Donnerstagabend sah, wie er die Michigan Avenue überquerte – mehrere Stunden nachdem Humphrey draußen an den Stockyards seine Dankesrede gehalten hatte – und sich dann unter die vielen Menschen im Grant Park mischte wie ein geschlagener General, der kurz nach der Kapitulation die Nähe seiner Soldaten sucht. Aber McCarthy konnte sich zu niemandem gesellen. Er konnte kaum sprechen. Er verhielt sich wie ein zutiefst geschockter Mann. Es gab nicht viel zu sagen. Der Wahlkampf war vorüber.
    McCarthys Vorstellung war zu Ende. Er hatte den Präsidenten in Rente geschickt und sich dann während eines fantastischen sechsmonatigen Wahlkampfs total verausgabt. Er hatte den Mord an Martin Luther King erleben müssen, den Mord an Bobby Kennedy und schließlich den blutigen Überfall auf seine eigenen Mitarbeiter durch die Polizei von Bürgermeister Daley, die in McCarthys privates Hauptquartier im Chicago Hilton stürmte und sich daranmachte, Schädel einzuschlagen. Am Freitag rannte sein Wahlkampfmanager, ein gestandener Profi namens Blair Clark, im Morgengrauen immer noch vor dem Hilton die Michigan Avenue auf und ab. Er war der Hysterie so nahe, dass seine Freunde sich scheuten, ihn anzusprechen, weil ihm bei jedem Versuch, etwas zu sagen, sofort die Tränen kamen, und er wieder hektisch losrannte.
    Vielleicht hat McCarthy ja irgendwann und irgendwo diese Episode ins rechte historische und poetische Licht gerückt, aber auch wenn – ich hab es nicht gelesen … Vielleicht hockt er aber auch noch über seinem Manuskript, bis er das richtige Ende gefunden hat. McCarthy hat ein scharfes Gespür fürs Dramatische und dazu einen schrägen Instinkt fürs Timing … aber bisher scheint niemandem aufgefallen zu sein, dass er auch einen gewaltigen Rachedurst hat.
    Vielleicht auch nicht. Im Rahmen des klassischen Journalismus wird diese Art mäandernder und

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