Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
Schwester war Sayah kühl und berechnend, doch nicht weniger mutig als sie, denn er hatte einmal sogar einen hungrigen Wolf mit bloßen Händen vertrieben. Wie die anderen Hrana hatte auch er in ohnmächtiger Wut zusehen müssen, als Majiids berittener Stoßtrupp herangeprescht war und die besten Tiere aus seiner Herde gestohlen hatte. Sayah hatte eigene Pläne mit den Pferden, die sie stehlen wollten, Pläne, die er seiner Schwester gegenüber besser nicht erwähnte, weil alle auf die Ermordung ihres Mannes hinausliefen.
Sayah quittierte die grimmige Zustimmung seiner Männer mit zufriedenem Nicken. Auf sein Zeichen hin kroch die Diebesbande durchs hohe Gras zu der Stelle hinüber, an der die Pferde für die Nacht festgebunden waren. In ihrem Rücken schlummerte das Lager in tiefer Stille, die den Dieben auf ihrem Schleichpfad sicherlich unnatürlich erschienen wäre, hätten sie auch nur einen Augenblick darauf geachtet. Die Nacht war viel zu still und viel zu ruhig. Nicht einmal ein Hund bellte, und auch kein Mensch lachte in den Zelten. Selbst die Kinder weinten nicht. Doch die Bahr bemerkten es nicht, oder sie schrieben es der Spannung vor dem aufkommenden Sturm zu.
Obwohl der Regen aufgehört hatte, hing sein Geruch noch in der schwülen, schweren Luft. Selten zuvor war eine Nacht so undurchdringlich schwarz gewesen. Die Diebe vermochten sich nicht einmal gegenseitig zu erkennen, während sie sich mit vorsichtigen Schritten ihren Weg bahnten.
»Akhran ist wahrhaftig mit uns!« raunte Zohra ihrem Bruder zu.
»Du hast recht, mein Sohn«, brummte Majiid. »Dieser sonderbare aufkommende Sturm ist der Beweis, daß Hazrat Akhran uns dabei hilft, unser Volk zu schützen!«
»Leise, Vater. Sei still«, zischte Khardan.
Er streckte die Hand aus und streichelte den Hals seines zitternden Pferdes. Das Tier bewegte sich unruhig, gab jedoch keinen Laut von sich und kam so dem unausgesprochenen Befehl seines Herrn nach. Alle Pferde waren nervös, aufgeregt und verschreckt durch die Anwesenheit der Männer, die sich in ihrer Mitte verborgen hielten. Zudem witterten sie die Spannung der bevorstehenden Schlacht. Jeder erfahrene Reiter, der sich der Herde genähert hätte, wäre auf der Hut gewesen, wenn er das ruhelose Stampfen und das Hin- und Herwerfen der Köpfe bemerkt hätte. Khardan setzte jedoch darauf, daß Zohra und ihre Batir im Umgang mit Pferden zu unerfahren waren, um zu bemerken, daß etwas nicht stimmte.
Umringt von den anderen Akar, die nicht nur mit Stahl gerüstet waren, sondern von denen auch jeder eine ölgetränkte Fackel bei sich trug, stand Khardan neben seinem Vater. Er konnte spüren, wie Majiids große, muskulöse Gestalt vor Zorn und Blutgier förmlich bebte. Erst kurz bevor sie ausgezogen waren, die Diebe zu ergreifen, hatte Khardan seinem Vater die Nachricht von dem bevorstehenden Überfall der Hrana unterbreitet. Wie sein Sohn vorausgesehen hatte, steigerte sich Majiid in solch eine Wut hinein, daß Sond gezwungen war, ihn bei den Armen zu packen und festzuhalten, denn sonst wäre der Scheich wie ein Ifrit durch das Lager gestürmt, um Jaafar an die Kehle zu springen. Unter vielen Schwierigkeiten hatten Sond und Khardan den alten Mann dazu gebracht, ihren Plan anzuhören. Und schließlich hatte er ihm unter der Bedingung zugestimmt, daß es ihm allein vorbehalten sei, Jaafar das Schwert durch den Leib zu stoßen.
Und was Zohra anbetraf, so erklärte Majiid sie zu einer Hexe, mit der kurzer Prozeß gemacht werden sollte. Er hatte sogleich mehrere geeignete Strafen vorgeschlagen, deren gnädigste die Steinigung war.
Khardan spürte die Hand seines Vaters dicht über der seinen. Von Mann zu Mann weitergegeben, bedeutete dieses lautlose Zeichen, daß die Kundschafter die Ankunft der Batir ausgemacht hatten. Zitternd vor Ungeduld und in Erwartung der nahen Schlacht drückte Khardan die Hand des Mannes, der neben ihm hockte. Dann zog er die Feuersteine hervor, mit denen er die Fackel in Brand setzen wollte.
Mit angehaltenem Atem lauschte er auf das leise Scharren der Füße auf dem sandigen Felsboden. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Alles blieb ruhig, doch er hatte einen seltsamen Geruch wahrgenommen.
Den Duft von Jasmin.
Hastig schlug er die Feuersteine aneinander und hielt sie dabei dicht an die Fackel. Funken sprangen über und entflammten das ölgetränkte Tuch. Im nächsten Augenblick stieß Majiid einen furchterregenden Schrei aus und schwang sich, die brennende Fackel in
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