Die Rose des Propheten 4 - Das Buch der Akhran
Gehen fällt dir noch schwer. So ergeht es allen, die aus dem Licht zu uns kommen, aber mit der Zeit wirst du dich an die Dunkelheit gewöhnen und dich sogar an ihr erfreuen.« Die Zauberin legte die Hände um sein Gesicht und blickte ihm tief in die Augen.
»Und du hast Glück!« flüsterte sie mit einem Beben in der Stimme, das sich auf Mathews Fleisch übertrug. »Mehr Glück als alle Menschen, denn offensichtlich hat Astafas dich auserwählt, seinen Willen zu tun! Er verleiht dir Macht, die du sonst nicht hättest! Und das bedeutet, daß er von uns weiß, uns beobachtet und unseren Kampf unterstützt!«
Als Mathew die Bedeutung und Wahrheit ihrer Worte begriff, zerriß es ihm die Seele und er begann zu zittern.
»Der Übergang wird schmerzlich sein«, sagte die Zauberin und drückte ihn fest an sich, »aber das ist jede Geburt.« Sie drückte seinen Kopf an ihre Brust, glättete sein Haar. »Lange habe ich getrauert, weil ich nur Töchter der Magie in diese Welt zu bringen vermag. Lange habe davon geträumt, einen Sohn zu gebären, der das Talent besitzt. Und nun bist du gekommen – auserwählt, um unseren kostbarsten Schatz zu bewachen und zu tragen. Hinfort sollst du mein sein.« Ihre Lippen drückten sich in sein Fleisch, stachen ihm wie ein Messer ins Herz. Er rollte sich zusammen und schrie schmerzerfüllt auf.
»Es tut weh«, sagte sie sanft und wischte dabei eine Träne fort, die aus ihrem Auge auf Mathews Wange gefallen war. »Ich weiß, daß es weh tut, mein Kleiner, aber die Qual wird bald zu Ende sein, und dann wirst du Frieden finden. Und jetzt muß ich dich verlassen. Der Mann, Khardan, harrt meiner Dienste, damit er bereit werden möge, die Ehre zu empfangen, die ihm zuteil werden soll. Hier ist Kleidung. Man wird dir zu essen bringen. Gibt es noch etwas, was du begehrst… wie ist dein Name?«
»Mathew!« Es schien, als würde das Wort aus ihm herausplatzen.
»Mathew. Möchtest du sonst nichts? Dann mach dich bereit. Der Konvent versammelt sich heute abend um zehn, in vier Stunden. Ach, armer Junge.« Sie schnalzte mit der Zunge. »In Ohnmacht gefallen. Sein Geist kann das hinnehmen, aber sein Herz nicht. Es bekämpft mich, es kämpft gegen die Dunkelheit. Aber ich werde siegen. Ich werde siegen! Astafas hat mir einen Sohn beschert!«
8
Auf Burg Zhakrin gab es eine große runde Halle, die gänzlich aus schwarzem Marmor bestand. Schwarze Säulen umgaben die Mitte des Saals, in deren Marmorboden das Signet der zerteilten Schlange in Gold eingelassen war. In diesem Augenblick stand in dem Saal nur ein Möbel, ein kleiner Tisch, auf dem sich ein mit schwarzem Samt bedeckter Gegenstand befand. Der Saal wurde nur selten geöffnet, und dann auch nur zu zeremoniellen Zwecken, denn man nannte ihn den Konvent, und hier war es auch, wo sich die Anhänger des Zhakrin einmal im Monat zu treffen pflegten oder wenn dem Volk etwas von besonderer Bedeutung verkündet werden sollte.
Nachdem die steinernen Mauern die Winterkälte gespeichert hatten, gefror einem in der Halle fast das Herz. Der schwarze Marmor, der im Licht zahlloser, in Haltern aus menschlichen Handknochen steckender Fackeln schimmerte, hätte ebensogut aus Eis bestehen können, so frostig stieg die Luft von ihm auf. Mathew schmiegte sich dankbar in den warmen, dicken Samt seines neuen schwarzen Gewands, die Hände in den Ärmeln verschränkt.
Um zehn Uhr hallte eine Eisenglocke durch die Burg. Mit feierlichen Mienen traf das Volk des Zhakrin im Saal ein. Schnell und ohne Verwirrung nahm jeder seinen Platz in dem großen Kreis ein, der sich um die geteilte Schlange versammelte. Es gab weniger Frauen als Männer. Die Frauen trugen ähnlich wie die Zauberin schwarze Kutten, und viele von ihnen waren schwanger. Jede Frau stand neben einem Schwarzen Paladin; Mathew begriff, daß es Ehefrauen sein mußten. In fast allen Frauen spürte er eine machtvolle Begabung für die Magie, und so gab es ihm keine Rätsel mehr auf, wie es dieses Volk schaffte, unter derart harten, feindseligen Bedingungen zu überleben.
An der einen oder anderen Stelle stand auch ein junger Mensch von ungefähr sechzehn Jahren respektvoll wenige Schritte außerhalb des Kreises der Erwachsenen. Erst von diesem Alter an war eine Teilnahme am Konvent möglich. Aus den Bemerkungen, die die Eintretenden machten, und aus den stolzen, liebevollen Blicken, die diesen jungen Menschen zugeworfen wurden, schloß Mathew, daß es sich um die Kinder der Paladine handeln
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