Die Rose von Byzanz
nicht so abgefeimt wie ihr nordischer Liebhaber.“
Johanna hielt den Blick starr auf das Spielbrett gerichtet. Irene sank neben ihr auf die Polsterbank.
Johanna zuckte zusammen, als Irenes Hand nach ihrer griff. „Keine Angst“, glaubte sie zu hören.
Wie sollte sie keine Angst haben, wenn Andronikos gestern so leicht gewonnen hatte?
Wortlos hatte sie sich am frühen Morgen von Eirik verabschiedet. Ein letzter Kuss, ehe er sie in ihrem Gefängnis allein ließ. Es dauerte danach nicht lange, bis Ermingard kam und sie in ihr Gemach zurückbrachte, wo man sie badete, ihr Haar schon wieder wusch und auskämmte, ihr besonders kostbare Kleider anlegte und sie dann allein ließ. Die Stunden bis zum Abend waren quälend langsam verstrichen.
Und jetzt saß sie hier und beobachtete, wie Eirik den ersten Zug machte.
Wie Andronikos diesen erwiderte.
Es war ein rasches, schweigendes Spiel, anders als an den vorangegangenen Abenden. Andronikos schien es eilig zu haben; einzig Eirik überlegte manches Mal länger, ehe er seinen Zug machte.
Bitte, Liebster. Bitte.
Irenes Hand krallte sich so fest in ihre, dass Johanna fürchtete, die andere Frau wollte ihr die Hand brechen. Sie versuchte aber nicht, sich loszumachen. Stattdessen erwiderte sie zaghaft den Druck, obwohl sie nicht wusste, ob Irene es spürte.
Sie fühlte sich nicht mehr ganz so allein.
Die Angst blieb.
Wenn ich bloß irgendwas tun könnte. Wenn ich bloß wüsste, wie dieses Spiel geht, das sie da spielen. Wenn ich wüsste, ob es gut für Eirik steht oder nicht …
Sie fürchtete zugleich das Schlimmste, dachte an das Öl, das Ermingard ihr am Morgen fürsorglich ins Haar geknetet hatte, damit es schön glänzte. Sie dachte daran, wie schnell Flammen sich in Öl fraßen, wie schnell ein Feuer Haare erfasste, wie rasch die ersten Flämmchen ihre Kopfhaut erreichten …
Sie hob die Hand und kratzte ihre Kopfhaut.
Ihre Bewegung schien Eirik zu irritieren. Mit einer der größten Figuren in der Hand blickte er zu ihr herüber. Der Moment verging schnell, doch setzte er die Figur mit einem Stirnrunzeln ab.
Andronikos grinste hämisch. „Das war dein Fehler, Nordmann.“
Mit einem raschen Zug schlug er eine weiße Figur, die wie ein Turm aussah.
Eirik sank in sich zusammen. Über den nächsten Zug dachte er sehr lange nach.
Johannas Herz schlug bis zum Hals. Sie wagte kaum zu atmen, weil sie fürchtete, Eirik wieder abzulenken.
Irenes Daumen streichelte tröstend ihren Handrücken.
Aber nein, bestimmt war es zu spät. Dieser Fehler kostete Eirik den Sieg, und das nur, weil sie sich gekratzt hatte. Weil sie Angst um ihr dummes Haar hatte! Wütende Tränen brannten in Johannas Augen.
Hin und her wogte das Spiel. Johanna zählte immer und immer wieder die Figuren, die beide Gegner neben dem Spielbrett aufreihten, sobald sie geschlagen waren. Als könnte sich durch Zauberhand etwas daran ändern, dass Eirik zwei Figuren weniger hatte. Als er dann um eine dritte Figur ins Hintertreffen geriet und sich das Schachbrett zunehmend leerte, ergriff Andronikos das Wort.
„Du verlierst, Waräger.“
Eirik blickte ihn finster an, antwortete aber nicht.
„Schau, ich seh’s doch. Mit dem nächsten Zug verlierst du deine Dame. Gut, dafür schlägst du meinen Turm, aber dann ist dein König ungedeckt, und du musst ihn aus der Gefahrenzone bringen. Oh, und darauf freue ich mich schon. Wenn du deinen König hin- und herbewegst. Wusstest du, dass meine Schwester gestern Nacht nicht nur äußerst willig in meinen Armen lag, sondern es auch genossen hat, sich von deinem Elfenbeinkönig penetrieren zu lassen? Sie hat ziemlich laut gestöhnt, man müsste es im ganzen Palast gehört haben. Es sei denn, man war im Kerker“, fügte er hinzu.
In Eiriks Wange zuckte ein Muskel.
„Nicht“, murmelte Irene. „Nein, Eirik …“
Er warf ihr einen knappen Seitenblick zu. Schwieg.
Johanna entzog Irene endgültig ihre Hand. Das stumme Einverständnis der beiden schmerzte sie.
Es dauerte nicht mehr lange. Drei Züge, dann lehnte Andronikos sich zurück. Seine Hand spielte mit einer der kleinen Elfenbeinfiguren, die er inzwischen vom Feld geräumt hatte. „Schach“, sagte er leise.
Eirik nickte. Er schien zu überlegen. Dann wandte er den Kopf zur Seite.
Er sah nicht Irene an, sondern Johanna. Sein Blick ruhte zärtlich auf ihrem Gesicht, als wollte er sich ihren Anblick ein letztes Mal einprägen, als suchte er in seinen Erinnerungen noch mal nach all den glücklichen
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