Die Rose von Darjeeling - Roman
von den gigantischen Schutzwällen und unterirdischen Militäranlagen, die während der fünfjährigen Besatzungszeit der Deutschen auf den Kanalinseln von Zwangsarbeitern gebaut worden waren, und erklärte, was sie unternehmen wollten, um die Strände wieder zu ihrer ursprünglichen Schönheit zurückzuführen.
»Wir brauchen wieder Urlauber auf Jersey, damit es der Bevölkerung besser geht. Obwohl Alfred und Charles meinen, wir sollten eine Steueroase in Europa werden. Das wäre der beste Weg zu neuem Wohlstand.«
Carl schilderte seine Freude über Gerdchens erstes selbst angelegtes Versuchsbeet. Seine Augen leuchteten vor Stolz, als er von seiner Ältesten erzählte. »Sie ist ein aufgewecktes Mädchen, Klassenbeste. Wenn Kathrin will, lass ich sie später studieren. Egal, was die Leute über studierte Frauen sagen.«
Er schwärmte von seinen Hybriden und begeisterte sich für den Plan, den Kiefernwald mit den Rhododendren in der Blütezeit als Ausflugsziel für Besucher zu öffnen.
Als Carl am Abend nach seinem Geburtstag etwas in seinem Koffer suchte, stieß er auf das eingewickelte Kästchen, das Gesine ihm für seinen Geburtstag mitgegeben hatte. Sein Herz wurde schwer. Er setzte sich aufs Bett und öffnete es.
In einer Zigarrenkiste steckten zwei größere und drei kleine selbst gebastelte Teddys, die sich alle an den Händen hielten. Ein viertes kleines Bärchenkind lag im Arm der Bärenmutter.
In einem beigefügten Brief stand:
Lieber Carl!
Herzliche Glückwünsche zu Deinem sechsundvierzigsten Geburtstag. Bleib gesund und munter. Wir denken alle ganz doll an Dich. Dein Geschenk kann ich Dir erst im Oktober überreichen. Aber es wächst und gedeiht schon.
In Liebe, Deine Gesine
Carl schlug die Hände über dem Kopf zusammen, ihm entfuhr ein trockenes Schluchzen. Wie sollte er seiner Frau jetzt noch unter die Augen treten? Und seinen Kindern?
Kathryn spazierte durch den Garten. Sollte sie Carl nicht doch sagen, dass Charles sein Sohn war? Entschlossen ging sie ins Häuschen, um Carl zu suchen. Er saß wie gelähmt auf dem Bett und starrte mit geröteten Augen vor sich hin.
Als Kathryn auf ihn zuging, fiel ihr Blick auf die Bärchenfamilie, daneben lag ein Brief. Sie begriff sofort. Seine Frau erwartete das vierte Kind! O nein, warum das ausgerechnet jetzt noch?
Kathryn setzte sich rittlings auf Carls Schoß. Sie schlang ihre Arme und Beine fest um ihn, legte ihre Wange an seine Schläfe. »Es ist zu spät«, sagte sie leise, »zu spät für ein gemeinsames Leben. Zu viele Weichen sind längst gestellt.« Jeder hatte sein auf ihn zugeschnittenes Leben.
»Vielleicht hast du Recht«, murmelte Carl verzweifelt. Das Wohlergehen vieler Menschen hing davon ab, dass sie weitermachten wie bisher. »Wir tragen Verantwortung.«
Und Claridge’s, Sommerfeste, Churchill, Dior – das war nicht seine Welt. Vielleicht musste wirklich jeder an seinen Platz zurückkehren.
Das Mondlicht fiel durch das Fenster direkt auf ihr Gesicht und weckte sie. Carl schlief entspannt. Sie konnte sich vorstellen, wie er als ein kleiner Junge ausgesehen hatte.
»Meine Liebe ist da, solange ich lebe«, flüsterte Kathryn in die Nacht. Es war wie ein Versprechen oder ein Gebet oder eine Mischung aus beidem. »Und vielleicht auch noch danach.«
Carl drehte sich zu ihr. Schlaftrunken blinzelte er sie zärtlich an. Kathryn legte ihre Hände auf seine Brust. Sie versuchte, ihre tiefsten Gefühle in Worte zu fassen. »Uns verbindet eine dicke, unsichtbare, aber spürbare intensive Wolke. Sie wird dich begleiten, und du kannst sie, wenn du dich in Ruhe besinnst, jederzeit mit deinem Herzen spüren. Meine Liebe wird nie von dir weichen. Sie ist da. So wie jetzt auch der Himalaya da ist und existiert, die majestätische Erhabenheit, das, was uns damals den Atem verschlug. Es ist alles noch da, und es wird noch nach uns da sein. Meine Liebe …« Sie verstummte, Tränen liefen über ihr Gesicht.
Aufgewühlt hatte Carl ihren Worten gelauscht, jetzt vollendete er ihren Satz. »… ist dann so fern wie der Kangchendzönga!« Er setzte sich auf. »Ich kann dich nicht anfassen, streicheln, fühlen, riechen, küssen, lieben … Wie soll ich das aushalten?«
»Sei vernünftig, mein Liebster. Es wird schon gehen.«
Vorwurfsvoll funkelte Carl sie an. »Du liebst mich nicht so, wie ich dich liebe!«
»Du weißt, dass das nicht stimmt!« Sie versuchte es noch einmal. »Lass uns dankbar sein, dass wir uns wenigstens wiedergetroffen
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