Die Rose von Darjeeling - Roman
Wirtschaftskrise immer mehr Familienunternehmen aufgeben. Sie wurden meist von großen Teeaktiengesellschaften geschluckt oder fanden einen privaten Investor wie Lord Taintsworth, bei dessen zahlreichen Beteiligungen nur wenige Kenner durchblickten.
Jemand sprach über die Fulham-Smiths, eine Pflanzerfamilie schottischen Ursprungs aus dem westlichen Darjeeling-Tal. »Er hat sich einen Tag vor der Zwangsversteigerung erschossen, der Verwalter ist auf und davon, seine Frau packt die Sachen für sich und ihre Kinder …«
»Ich hab sie neulich ganz in Schwarz in Darjeeling beim Kaufmann gesehen«, erzählte Samanthas Mutter. »Er wollte nicht mehr anschreiben. Sie hat nicht nach links oder rechts gesehen. Ich hätte sie ja noch gegrüßt, die arme Frau.« Aber einladen kann man sie natürlich nicht mehr, dachte sie, dabei habe ich vor wenigen Wochen noch mit ihrem Mann im Club gesessen, geplaudert und getrunken.
»Habt ihr was bemerkt?«, fragte Mrs Faith mit Schaudern. »Sie verhielten sich doch wie sonst auch … Wir sind noch gemeinsam die Heiratsliste in der Times durchgegangen, sie hat sie laut vorgelesen wie immer.«
»Was wird aus den Leuten, aus den Pflückerinnen und Arbeitern?«, fragte Kathryn betroffen.
»Da wird wohl erst mal Schmalhans Küchenmeister«, polterte Major Faith, »aber diese Eingeborenen sind ja an ein karges Leben gewöhnt.«
»Das Unternehmen hat beim ersten Versteigerungstermin keinen Zuschlag bekommen«, wusste ein anderer Gast, »beim nächsten Mal kann ihn dann ein Interessent noch deutlich günstiger ersteigern. Der wird durch neue Maschinen Arbeiter einsparen und die Löhne senken. Die Leute können froh sein, wenn sie in ihrem Dorf bleiben und weiter arbeiten dürfen.«
»Dieser Gandhi will ja, dass ganz Indien wieder dörflich wird«, sagte ein anderer Pflanzer spöttisch. »Der alte Mann mit der Windel hasst Städte. Er will, dass alle wieder in Dörfern leben. Die Inder sollen sich selbst verwalten und selbst versorgen, nichts mehr aus dem Ausland kaufen. Sie sollen sogar ihre Kleidung selbst weben – was wird aus unseren Tuchfabriken in Manchester?«
Kathryns Vater hatte schon einen roten Kopf, so sehr regte ihn das Thema auf. »Sollen sie von mir aus andere Regionen selbst verwalten«, donnerte er. »Aber Darjeeling haben wir doch erst erschaffen! Unsere Väter und Vorväter haben den Urwald gerodet, Terrassen im Hügelland angelegt, Missernten verkraftet und auf eigenes Risiko mit Teepflanzen experimentiert. Ich selbst habe noch Maschinen auf Ochsenkarren hier hochgebracht. Auf Darjeeling hat kein Inder einen Anspruch!«
»Einige Gurkhas verlangen unabhängiges Gurkha-Land im Bezirk Darjeeling«, warf ein junger Mann ein.
»Davor bewahre uns Gott!«
Aldous Whitewater schlug mit seiner Faust auf den Tisch. Die angerösteten Perlzwiebeln sprangen samt Bratfett auf die weiße Damasttischdecke. Ein nepalesischer Diener, ausgerechnet ein Gurkha, bemühte sich diskret, die Spuren zu beseitigen.
Jetzt endlich, da die Tafel aufgehoben war, die älteren Herrschaften sich ins Rauchzimmer zurückgezogen hatten und ermüdete Damen ins Boudoir, konnte für die Jüngeren und die Vergnügungslustigen der amüsante Teil des Abends beginnen. Nur eine Straße entfernt im Gymkhana Club, dem legendären Vergnügungszentrum Darjeelings, das schon vor dem Weltkrieg gegründet worden war, spielte heute ein Orchester. Die jungen Leute nahmen Rikschas dorthin. Am Nachmittag hatte es geregnet, doch die schwarzen Wolken waren weitergezogen, und der Nachthimmel leuchtete dunkelblau. Sam und Kathryn zogen sich fröstelnd ihre gefütterten Samtmäntel enger um den Leib. Es roch nach Kaminfeuern, nach frischem Birkengrün. Auf der holprigen Strecke sahen sie von den gepolsterten Rikschasitzen aus in dunklen Gärten blühende Magnolienbäume schimmern und darüber Myriaden von Sternen. Natürlich hingen wieder Wolkenfetzen um den Kangchendzönga herum, doch während die Bergkette auf der einen Seite mit den Wolken verschmolz, ließ das Mondlicht auf der anderen Seite die weißen Gipfel glitzern wie Feenstaub. Als sie ausstiegen, zerstäubte eine Brise die Regentropfen, die noch auf den Blättern lagen.
Im Gymkhana bebten schon die Bretter. Nach einem Foxtrott wurde jetzt Walzer gespielt. Beschwingt betraten Kathryn, Samantha, Gustav und Carl den Tanzsaal, in dem nur Europäer feierten. Kathryn hatte einen Tisch für sie reserviert, und sie folgten dem Kellner dorthin. Die meisten Leute hier
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