Die Rose von Darjeeling - Roman
einfach kameradschaftlich in ihrer Mitte aufnehmen? Männer! Sie würde sich nicht mehr alles bieten lassen. Ihr Vater … erneut fühlte Kathryn Wut in sich aufsteigen. Er interessierte sich nicht wirklich für sie, von Liebe ganz zu schweigen. Wie sonst hätte er sie fünf Jahre lang nach Europa schicken können?
Aber sie musste realistisch sein. Ihr Vater erwartete von ihr, dass sie bald eine gute Partie machte. Er wollte die Last ihres Unterhalts loswerden. Dass es wirtschaftlich um den Teegarten nicht allzu gut bestellt war, hatte sie sich längst zusammengereimt. Sie war als Tochter einzig dazu bestimmt, den Geldbeutel ihres Vaters zu füllen und damit seine Stellung zu verbessern. Und nach ihm würde ihr künftiger Gatte bestimmen, was sie zu tun und zu lassen hatte. Verächtlich schnaubte sie durch die Nase. Ihre Zukunft flößte ihr Schrecken ein. Ein spießiges, reglementiertes Leben erwartete sie.
Umso richtiger, dachte Kathryn entschlossen, dass ich jetzt hier bin. Wer weiß, wie es wirklich kommt. Aber jetzt bin ich in Sikkim, wo ich immer hinwollte. Und ich will es mit jeder Faser meines Körpers genießen.
Die junge Frau schloss einen Moment die Augen. Sie hatte ihr Mantra gefunden. Es lautete: Jetzt ist jetzt, und jetzt will ich glücklich sein.
Die Expeditionstruppe kämpfte sich erneut durch den Dschungel aufwärts. Immer wieder passierten sie tiefe Schluchten. Die vom ewigen Eis gekrönten majestätischen Himalayagipfel, in Kathryns Augen einer der Höhepunkte der Schöpfung, ließen sich stets nur kurz sehen, weil hohe Bäume oder Wolken ihnen die Sicht versperrten. Doch wenn sie sich zeigten, schien es, als würden sie die schroffen Bergketten zu ihren Füßen lächerlich machen.
Wenn Carl mit seinem Fernglas vereinzelte Blüten tropischer Rhododendren ausmachte, unternahm er einen Abstecher in die Wildnis. Die Arten, die er hier fand, gehörten zum Subgenus vireya, der ein Drittel aller Rhododendren auf der Welt umfasste. Viele von ihnen dufteten betörend. Einige lockten auch Schmetterlinge oder Nachtvögel an. Manche hatten riesige Blüten oder Blätter von der Länge eines Unterarms. Es faszinierte Carl, in welchen Formen und Farben sie gediehen, in Europa konnten sie nur in geheizten Gewächshäusern überleben. Er fotografierte die Büsche, auch wenn sie für seine Zwecke nicht taugten, weil sie keinen Frost vertrugen. Leider musste er sich den Zugang zu den Rhododendren durch Lianen und andere Schlingpflanzen meist erst mühsam freischlagen. So erlahmte nach einer Weile Carls Begeisterung für die Exotinnen, doch er wurde dadurch offener für die anderen Schönheiten der Natur. Wie viele Grüntöne es gab!
»Schau, dort ist ein Rhodo!« Kathryn drehte sich um. »Wär das was für dich?«
»Ist längst ein alter Bekannter«, antwortete Carl, »dank Sir Hooker.«
Colonel Robbins ritt neben Gustav her. Die beiden Männer unterhielten sich über geeignete Areale für eine Teeplantage. Und über die Charaktere der diversen Völker Sikkims. Die Ureinwohner, die Lepchas, lebten meist als einfache Bauern in Hochlagen, die aus Tibet stammenden Bhotias leiteten viele staatliche und religiöse Ämter, die aus Nepal eingewanderten Gurkhas, Limbus, Sherpas und andere Stämme betrieben erfolgreich Landwirtschaft, Handwerke und Handel.
»Es ist kurios«, sagte der Colonel, »die einen glauben an Naturgeister, die anderen an den buddhistischen Lamaismus und die Nächsten sind überzeugte Hindus.« Er lächelte. »Aber wenn ich eines in meiner Zeit in Gangtok gelernt habe, dann, dass viele an mehreres glauben – oder auch an nichts.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, zum Beispiel die Lepchas. Sie verehren Buddha, feiern Rituale bei den Lamas in den Klöstern und haben trotzdem noch ihren Dorfschamanen, der mit Waldgeistern und Ahnen spricht. Für sie ist das kein Widerspruch.« Robbins lachte. »Und die Sherpas, obgleich Hindus, glauben nicht an das Kastensystem. Was, nebenbei bemerkt, unser Glück ist. Denn mit Hindus, die sich streng an ihre Kastenregeln halten, zu reisen, ist ein Albtraum, ich sag’s Ihnen. Da dürfen zum Beispiel Andersgläubige nicht denselben Brunnen benutzen, und alle naselang müssen sie sich von irgendwas reinigen.«
»Umso erstaunlicher, dass sie in Sikkim trotz der Unterschiede friedlich miteinander auskommen«, fand Gustav.
Nach Nepal oder Bhutan, dem Land des Donnerdrachen, einzureisen, war Europäern streng verboten, das wusste er. Nur in Sikkim gab es für sie
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