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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Maschinerie erzitterte, krachte und stöhnte unter der Schwere der Gewichte, und mit tiefen, mahnenden Schlägen ertönte die zwölfte Stunde durch das Thal. Als der letzte Ton verklungen war, begann der Dukatengraf:
     
    »O Ewigkeit, du Donnerwort,
    O Schwert, das durch die Seele bohrt,
    O Anfang sonder Ende.
    O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
    Vielleicht schon morgen oder heut
    Fall ich in deine Hände.
    Mein ganz erschrock’nes Herz erbebt,
    Daß mir die Zung’ am Gaumen klebt!«
     
    So wenig sich Franz um die Leute zu bekümmern pflegte, er hatte doch von dem Verhalten Heinrichs an dem Grabe Anna’s gehört, und darum wußte er, was das Lied in der jetzigen Stunde bedeuten solle. Der heutige Tag hatte die Versöhnung zu schnell von ihm gefordert, als daß sich nicht ein Rest des alten langgenährten Hasses in irgend einem Winkel seines Herzens hätte verbergen können; aber was davon ja noch übrig geblieben war, das wurde durch die Erschütterung des gegenwärtigen Augenblickes gelöst und wich der tiefen Reue des einst so harten, jetzt aber schwer getroffenen Sünders. Dieser fuhr nach einer kurzen Pause fort:
     
    »Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf,
    Ermunt’re Dich, verlor’nes Schaf,
    Zu einem neuen Leben.
    Wach auf, denn es ist hohe Zeit
    Und Dich ereilt die Ewigkeit,
    Dir Deinen Lohn zu geben.
    Zeig’ reuig Deine Sünden an,
    Daß Dir die Gnade helfen kann!«
     
    »Amen!« erscholl es von vier Lippen, und Franz reichte seine Hand zum zweiten Male über das Grab hinüber.
    »Das Lied hat nur Dir gegolten, Heinrich, aber es hat auch mich getroffen. Du hast Deine Sünden angesagt und darum soll Dir auch die Gnade helfen. Was das sagen soll, das wirst Du bald von mir hören. Jetzt aber bitt’ ich, geh’, Heinrich! Laß mich allein hier bei der Anna. Was zermalmt gewesen ist in mir, das ist heut’ plötzlich heil geworden; aber mein armer Kopf ist’s net gewöhnt und muß hier ruh’n, bis er’s ertragen kann. Schlaf wohl!«
    »Gute Nacht! Segne Dir’s Gott tausend Mal, was Du heut’ an mir gethan hast. Ich vergeß Dir’s nimmer!«
    Er verließ den Kirchhof. Als er den Hof erreichte, fand er das Thor noch offen. Emma hatte auf ihn gewartet, und Wilhelm befand sich bei ihr. Sie hatten Sorge um ihn gehabt und waren ihm nun behilflich, die Treppe hinauf in seine Stube zu kommen. Dort blieb der junge Mann bei ihm zurück.
    »Ich möcht’ Sie gern ‘was fragen, Herr Graf,« begann er, als Emma sich entfernt hatte; »und darum bin ich so lang auf dem Hof geblieben. Darf ich?«
    »Frag’ nur immer, Wilhelm! Wenn ich kann, so werd’ ich Dir gern Bescheid sagen.«
    »Sie haben am End’ wohl auch davon gehört, daß ich für die Packet’, die ich damals im Walde fand, Geld bekommen hab’. Das mag ich net behalten! Ich hab’s zwar net gestohlen, aber ich hab’s doch mit Gewalt Dem abgenommen, der’s für die Waar’ gegeben hat. Nun möcht’ ich’s wohin legen, wo der es finden kann, dem’s gehört. Darf ich Ihnen den Ort sagen, damit Sie mir der Zeuge sind, wenn es vielleicht ‘mal nöthig sein sollt’?«
    »Wilhelm, Du bist ein braver Mensch, das seh’ ich jetzt schon wieder. Mit dem Schweigen über die beiden Leute, die Du damals getroffen hast, da sollst Du Deinen Willen haben, aber das Geld, das behalt’ in Gottes Namen. Den Du meinst, der nimmt es doch net wieder, und weil Du es hast, grad’ erst recht net. Und wenn Du die Emma wirklich lieb hast, so kannst’s doch wohl gebrauchen!«
    »Ist’s denn auch wahr, daß ich sie nehmen darf? Sie ist das Kostbarste, was ich nächst den Eltern hab’, und wenn sie meine Frau ist, so soll es sicher keinen Anderen geben, der Ihnen ein guter Sohn ist, so wie ich!«
    »Ja, Du sollst sie haben; hier meine Hand darauf! Ich denk’, daß Du ihr nix entgelten läßt von dem, was an dem Vater net recht gewesen ist.« –
    Seit langen, langen Jahren war es heut’ das erste Mal, daß Heinrich sich mit der Genugthuung zur Ruhe legte, welche die Erfüllung einer Pflicht als Segen mit sich bringt. Sein Schlaf war fest und ungestört und als er erwachte, fühlte er sich nicht nur körperlich gestärkt, sondern auch innerlich befestigt, und die Zukunft erschien trotz ihrer schweren Schatten ihm nicht so dunkel wie vorher. Als er das Fenster öffnete, um die frische, würzige Morgenluft hereinstreichen zu lassen, gewahrte er den Köpfle-Franz, welcher das Dorf herab kam und Miene machte, zu passiren ohne herein zu kommen. Er winkte ihm.
    »Nachher!« rief

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