Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
zum Meer trug, aber wenigstens befand er sich in einem Boot und wusste, wo es hinsteuerte. Die Zukunft des Marschalls war wesentlich ungewisser.
»Also ist Richard jetzt der Erbe des Königs«, stellte Roger fest, als die Diener Schüsseln mit späten Kirschen auftrugen, die so dunkel schimmerten wie Vavasours Fell. »Was glaubt Ihr, was das für die Zukunft bedeutet? Er schlägt sicher eine andere Richtung ein als der junge König, aber ich kenne ihn nicht so gut wie Ihr.« Tatsächlich war Richard so selten in England gewesen, dass Roger ihn überhaupt nicht kannte.
William nahm sich Zeit, wusch sich die Hände in einer Schüssel mit Rosenwasser und trocknete sie an dem Tuch ab, das ein Diener ihm hinhielt.
»Richard bevorzugt Männer, die sagen, was sie denken, und deren Loyalität unerschütterlich ist. Wenn Ihr einem klar vorgezeichneten Weg folgt und nicht davon abweicht, weiß er das zu würdigen. Er hat ein hitziges Temperament und verlangt ein gutes Urteilsvermögen und einen scharfen Verstand. Aber erwartet keinerlei Nachsicht von ihm. Er kann Euch belohnen oder auch nicht, aber er wird Euch mit Sicherheit bis zum Umfallen
arbeiten lassen. Außerdem ist er der Sohn seiner Mutter«, fügte er hinzu. »Wenn Ihr mit ihm zu tun habt, denkt an die Königin, nicht an Henry, und vergesst nicht, dass er schon der Erbe von Aquitanien war, lange bevor er der Erbe Englands wurde.«
Kurz vor Sonnenuntergang verabschiedete sich William von Ida und Roger, stieg auf den kastanienbraunen Wallach und griff nach den Zügeln des mit seinen Habseligkeiten beladenen Packpferdes. Roger sah ihm nach, als er vom Hof ritt und sich in Richtung Ludgate wandte, und fragte sich, ob er wohl seine Pferde oder William je wiedersehen würde.
Ida und er kehrten in gedrückter Stimmung zum Haus zurück. Roger dachte über das nach, was William ihm berichtet hatte. Er musste Pläne schmieden und Möglichkeiten abwägen. Da er so tief in seinen Grübeleien versunken war, bemerkte er weder, wie still Ida war, noch fiel ihm der kummervolle Ausdruck in ihren Augen auf.
23
Westminster, 1186
Weihnachten 1186
Der Hof ließ sich in Westminster nieder, um in Henrys sechsunddreißigstem Herrschaftsjahr das Weihnachtsfest zu feiern. Roger und Ida nahmen an dem Fest teil, Roger in seinem zeremoniellen Amt als königlicher Tafelmeister, der das Auftragen der Speisen zu überwachen hatte. Allerdings interessierte es Henry wenig, auf welche Weise ihm eine Platte serviert wurde oder was darauf lag, denn seiner Meinung nach war Nahrung
nur dazu bestimmt, den Körper zu kräftigen, und es war ihm egal, was er zu sich nahm, solange es genießbar war.
Roger fand, dass Henry älter wirkte. Die Jahre, die so lange keine Spuren bei ihm hinterlassen hatten, lasteten jetzt schwer auf ihm. Er hinkte nun permanent, und sein Haar, das zu Beginn von Rogers Streit um sein Erbe rotgolden geschimmert hatte, wies jetzt weit mehr Grau als Rot auf. Das kantige Kinn war schlaff geworden. Jeder, der ihn in einem Gang getroffen hätte, hätte ihn aus der Ferne für einen armseligen, von Sorgen niedergedrückten Gefolgsmann gehalten und nicht für den König von England. Doch hinter der vom Alter gezeichneten Fassade verbarg sich noch immer ein messerscharfer Verstand und ein gutes Maß an Gerissenheit. Er hielt die Zügel so fest in der Hand wie eh und je.
Er litt immer noch unter dem Verlust seines Sohnes Geoffrey, der in Paris bei einem Turnier ums Leben gekommen war. Der junge Mann war von seinem Pferd gestürzt, unter die Hufe geraten und wenige Stunden später qualvoll gestorben. Er hinterließ eine schwangere Frau und eine kleine Tochter als Erben. In echter angevinischer Tradition waren die Gründe für Geoffreys Aufenthalt in Paris dubios. Höchstwahrscheinlich hatte er wieder einen Aufstand gegen seinen Vater angezettelt, statt sich ausschließlich dem Turnier zu widmen. Nun hatte ihn mit achtundzwanzig Jahren, im selben Alter wie seinen Bruder Henry, den jungen König, das Ende ereilt, und er war in der Kathedrale Notre-Dame bestattet worden. Und jetzt wartete jedermann voller Ungeduld darauf, ob das ungeborene Kind ein Junge oder ein Mädchen werden würde.
Henry betrachtete das Wildbretgericht, das Roger vor ihn hingestellt hatte. Es war heiß, scharf gewürzt und in der Mitte noch blutig. Er griff nach seinem Messer, zögerte aber, bevor er das Fleisch anschnitt, und sah Roger an.
»Wie geht es Eurer Lady? Ich habe bislang noch nicht viel von ihr
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