Die roten Blüten der Sehnsucht
woran hatten Sie bei der Ablenkung gedacht?« Dorothea konnte nicht umhin, dem Chefredakteur für sein Vorhaben dankbar zu sein. » Mir fällt im Augenblick nichts ein.«
» Es gibt Gerüchte, Ihr Mann wäre der verschollene Sohn eines Earls. Ist da etwas dran?«
Normalerweise ging man in Australien sehr dezent mit der Herkunft eines Menschen um. Selbst in Südaustralien, wo keine ehemaligen Sträflinge siedelten, galt es als ungeschriebenes Gebot, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Deswegen überraschte Dorothea der Vorschlag zuerst. Aber er war gut! Das war ihr sofort klar. Die Menschen liebten solche fantastischen Geschichten.
» Ja, es sieht ganz danach aus«, erwiderte sie deshalb bereitwillig. » Das gerichtliche Verfahren ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Jedenfalls haben wir noch nicht die offizielle Bestätigung, dass Ian als Sohn des Earl of Embersleigh anerkannt ist.«
» Wie ist die Sache eigentlich abgelaufen? Ich meine, ich habe noch nie davon gehört, dass ein verschwundenes Kind tatsächlich nach so vielen Jahren wiedergefunden wurde. Es kommt einem schon ziemlich fantastisch vor.«
» Ja, das ist es auch. Am Anfang stand ein Vater, der das Verschwinden seines einzigen Kindes nicht akzeptieren wollte. Er hat jahrelang Nachforschungen anstellen lassen, ehe sein Detektiv auf die Spur stieß, die hierher, nach Südaustralien führte.« Dorothea bemühte sich, die komplizierte Geschichte so kurz wie möglich zusammenzufassen. » Als dann eines Tages der Familienanwalt Mr. Billingsworth in Begleitung von Catriona und Percy leibhaftig vor unserer Tür stand, musste auch Ian zugeben, dass es wohl nicht nur die Träume eines alten Mannes waren, wegen der sich drei Menschen auf eine solche Reise begeben hatten. Und es hat sich dann ja auch rasch herausgestellt, dass Ian tatsächlich der verschollene Sohn ist.«
» Wie denn das?« Stevenson zeigte seine Skepsis recht offen.
» Der kleine Charles hat das Embersleigh-Muttermal«, erklärte Dorothea ihm. » Damit war für Mr. Billingsworth der Beweis erbracht.«
» Ein Muttermal? Ich habe auch eines. Aber bei mir hat sich noch kein Earl gemeldet, der seinen Sohn vermisste!«
» Es ist ein sehr spezielles. Außerdem musste ja auch alles andere zu dem Geschehen passen. Mr. Billingsworth hat uns erklärt, dass eine solche Anerkennung ein ziemlich aufwendiges Verfahren ist. Deswegen dauert es ja auch so lange.«
» Hm. Aus der Anwesenheit dieser englischen Verwandten darf man wohl schließen, dass zumindest inoffiziell alles geklärt ist?«
» Der Anwalt war absolut überzeugt von Ians Identität. Und Catriona und Percy sind es auch.«
» Ach ja, die Grenfells.« Stevenson sah einem Schwarm weißer Kakadus nach, die unter lautem Kreischen ihre Schlafbäume in den Parklands aufsuchten. » Ein äußerst mondänes Paar. Erstaunlich, dass sie es so lange hier aushalten. Oder überlegen sie, sich in unserem schönen Südaustralien niederzulassen? Sie erwecken nicht den Eindruck, dass es sie nach Englands grünen Hügeln zurückziehen würde. Haben sie da keinen Besitz, um den sie sich kümmern müssen?«
» Nicht dass ich wüsste«, sagte Dorothea leichthin. » Sie leben auf dem Besitz von Ians Vater. Die ganzen Jahre waren sie die einzigen Angehörigen, die ihm nahestanden.«
» Oh…« Stevenson zog die Augenbrauen hoch. » Dann hatten sie sich also bisher als die Erben und Nachfolger betrachtet?«
» Das kann schon sein. Aber sie waren überaus erfreut, Ian kennenzulernen. Und sie sind kein bisschen hochnäsig, obwohl wir ihnen schrecklich provinziell vorkommen müssen.«
» Soso.« Der Chefredakteur schwieg danach eine ganze Häuserfront lang, ehe er sagte: » Das ist doch eine tolle Story! Was halten Sie davon, den Klatschmäulern etwas Neues anzubieten, womit sie sich beschäftigen können? › Wunderbare Familienvereinigung– Earl findet nach zwanzig Jahren seinen Sohn wieder.‹ Oder so ähnlich. Das könnte die Auflage des Register um einiges in die Höhe treiben.«
Ian zeigte sich wenig begeistert von der Idee. » Ich weiß nicht, was mein Vater dazu sagen würde, derart im Licht der Öffentlichkeit zu stehen– aber ich weiß genau, dass ich es nicht möchte. Dieser lächerliche Verdacht gegen Dorothy wird sich morgen sowieso in Luft auflösen. Es ist nicht nötig, diese sehr privaten Dinge publik zu machen.«
Percy und Catriona bestärkten ihn noch in seiner Ablehnung, indem sie erklärten, Onkel Hugh wäre es sicher ein Gräuel, den
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