Die roten Blüten der Sehnsucht
Auffassungsgabe gelobt hatte! Sogar zu studieren hatte sie vorgehabt, um ihn noch stolzer auf sie zu machen. Dass das für ein Mädchen unmöglich war, hatte sie zuerst nicht einsehen wollen.
Mary schien ganz nach ihr zu geraten. Sie nahm sich vor, ihrer Tochter gegenüber mehr Geduld und Nachsicht zu üben. Vielleicht brannte in ihr ja der gleiche Hunger nach Anerkennung?
Charles hatte ihre Geistesabwesenheit genutzt, um unbemerkt einen der Knöpfe ihrer Bluse in den Mund zu nehmen und daran zu lutschen. Jetzt hatte sich ein großer Fleck auf dem Stoff ausgebreitet.
» Charles, bäh! Musst du immer sabbern?«, sagte Dorothea streng. » Nimm ihn mir bitte ab, Trixie. Ich schicke Mary dann wieder her, sobald ihr Vater Ruhe braucht.« Vorsichtig stieg sie über das tierische Chaos und drückte ihren Jüngsten dem Kindermädchen in den Arm.
Ians Genesung schritt langsam, aber sicher voran. Der schwarze Bluterguss färbte sich zuerst dunkellila, dann purpurn, ehe er allmählich von den Rändern her gelb wurde und schrumpfte. Trotz seiner Proteste wurde der Blätterbrei beibehalten.
» Dass sie überhaupt noch von dem Zeug hier finden?«, murrte er. » Allmählich dürfte jeder Busch in mehreren Kilometern Umkreis blattleer sein.«
Tatsächlich brauchten Mannara und Vicky immer länger für ihre Sammeltätigkeit. Als der monatliche Schafszoll fällig wurde, versuchte Dorothea, dem alten Krieger, der die Träger beaufsichtigte, einen Handel » Blätter gegen Mehl« vorzuschlagen. Vicky sollte dolmetschen, damit der Anblick von Parnko und Mannara die jungen Burschen nicht wieder provozierte. Beim Anblick von Vicky brachen alle in schallendes Gelächter aus. Jemanden, den sie als den Ngarrindjeri zugehörig betrachteten, in der Tracht der Engländer zu sehen, gekleidet und frisiert wie eine weiße Frau, erschien ihnen wohl als grandioser Witz.
Als sie sich endlich die Lachtränen aus den Augen gewischt und sich so weit beruhigt hatten, dass man wieder sein eigenes Wort verstehen konnte, war die Stimmung so gelöst, dass sie bereitwillig zustimmten, ein Kanu voller Zweige dieses Strauchs gegen einen Sack Mehl und einen Kasten Kautabak zu tauschen.
» Das hat ja wunderbar funktioniert«, stellte Dorothea erleichtert fest und sah den braunen Gestalten nach, die immer noch kichernd wie Kinder zum Murray River hinunterzogen. » Was haben sie zu dir gesagt, Vicky? Ich habe kaum etwas davon verstanden. Es waren lauter mir unbekannte Wörter.«
» Nichts Besonderes«, gab das Mädchen einsilbig zurück, drehte sich auf den Fersen um und verschwand im Haus.
Tatsächlich hielten die Männer Wort. Schon ein paar Stunden später brachten sie eines ihrer Rindenkanus, bis zum Rand gefüllt mit den duftenden Zweigen, und schütteten den Inhalt vor der Freitreppe aus.
» Das müsste reichen, bis Master Ian wieder ganz hergestellt ist«, meinte Mrs. Perkins und musterte zufrieden den grünen Haufen. » Kommt mit, ich gebe euch das Mehl und den Tabak.« Sie unterstrich ihre Worte mit den entsprechenden Gesten und wurde problemlos verstanden.
» Es wundert mich, dass sie nicht viel mehr Mehl verbrauchen«, bemerkte Percy. » Wovon leben sie eigentlich zurzeit? Fischen ist bei dem ganzen Treibholz doch viel zu gefährlich.«
» Unsere Ngarrindjeri leben hauptsächlich von dem, was der Murray River ihnen liefert«, erklärte Dorothea. » Also vor allem von Fischen, Krebsen und Muscheln. Aber sie verschmähen auch Molche, Frösche, Vögel und ihre Gelege, Eidechsen und Schlangen nicht. Und die Frauen sind unglaublich geschickt darin, Wurzeln und Knollen zu finden. Dazu kommen Beeren, Früchte, Termiten, Insektenlarven und das, was die Männer erjagen. Ian sagte einmal, es gäbe eigentlich nichts, was sie nicht äßen– außer, es ist gerade tabu.«
» Weißt du mehr darüber?«
Dorothea überlegte. » Wenig. Tabus gibt es nicht für Kinder unter neun bis zehn und für die ganz Alten. Sobald sie alt und weißhaarig sind, dürfen sie wieder alles essen. Dazwischen ist es sehr kompliziert. Verheirateten Männern in einem bestimmten Alter sind das rote Känguru, sämtliche Jungen aus dem Beutel, ein bestimmter Fisch namens kelapko, der weiße Kranich, eine Schildkrötenart und noch so einiges mehr verboten.« Sie runzelte angestrengt die Stirn, während sie versuchte, sich an weitere Einzelheiten zu erinnern. » Mr. Eyre von der Station Moorundie hat einmal einen äußerst interessanten Vortrag darüber gehalten und gemeint, dass
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