Die Rückkehr der Königin - Roman
nicht, dass ich das gekonnt hätte.«
»Bist du sicher ...«, begann Keda wieder und verschränkte die Hände.
»Es gibt keinen anderen Weg«, sagte Anghara leise, aber mit eiserner Überzeugung.
Shev holte tief Luft. »Dann zeige ich euch den Weg«, sagte er ruhig.
7
Es bedurfte vieler Worte – einige zuletzt barsch, unter vier Augen zwischen Mann und Frau –, aber schließlich war alles arrangiert. Keda würde in der Schenke zurückbleiben und ihrer Verpflichtung dem Wirt gegenüber nachkommen, bis Shev zurückkam ... und Shev würde mit Kieran und Anghara reiten und sie zum singenden Stein führen.
Sie erreichten die Stelle in drei Tagen. Wind und Sand hatten einen steinernen Obelisken geformt, mit einer ovalen Öffnung oben. Der Wind pfiff stetig hindurch und es hörte sich so an, als ob der Stein selbst seufzte. Der Laut, diese unwirkliche Klage des Windes, begleitete sie schon lange bevor sie den Stein sahen. Anghara hasste den Klang von Anfang an. Kieran sah, wie sie immer wieder in dem hohen Sattel ihres Kamels schauderte. Außerdem sah er bei ihr die Spuren Kheldrins, wie sie locker das Gleichgewicht hielt, eine Reiterin, die an den ruckartigen Gang der Wüstentiere gewohnt war – und staunte darüber. Aber Anghara, die der Klang unweigerlich zurückbrachte in die Khar’i’id und die Erinnerung an Gul Qara, wagte nicht, ihm die Geschichte zu erzählen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht, nachdem sämtliche Versprechen von Gul Qara offenbar im Kerker von Miranei gestorben waren.
Sie schien ihr Kamel kaum zu lenken, und als Shevs und Kierans Tiere neben dem Stein mit dem Auge stehen blieben, grunzte Angharas empört, ehe es nach einem letzten Schritt hielt. Anghara schaute kurz auf. »Hier?«
»Das besagt das Lied«, meinte Shev. Trotz seines lockeren Tons war sein Gesicht angespannt und ernst. Für ihn waren die Schatten in den grauen Felsen hinter dem Obelisken voller starrender goldener Augen.
Kieran zögerte. Hier war der Punkt, nach dem Fehler tödlich wurden, und er wusste sehr wenig über das, was vor ihnen lag. Er musste schlichtweg auf zu viele Dinge vertrauen – Vertrauen oder es ganz sein lassen. Doch nach kurzem Zögern hob er den Kopf, und seine Augen funkelten entschlossen. Recht besehen war dieser Ort so gut wie jeder andere, um sich ins Ungewisse zu stürzen. »Nun denn, dann mal los«, sagte er und warf einen sehnsüchtigen Blick zurück auf das vertraute Land, das sie verließen, und dessen Hauptanziehung wohl darin bestand, dass es nicht Kheldrin war.
Shev beugte sich herüber und legte die Hand auf Kierans Arm. »Sei vorsichtig, deine Schwester könnte es nicht ertragen, dich wieder zu verlieren.«
Kieran rang sich ein Lächeln ab. Er wollte so vorsichtig sein, wie es unter den Umständen möglich war. Er wünschte, er hätte eine klarere Vorstellung von dem, weswegen er vorsichtig sein musste. »Das werden wir«, versicherte er laut, weil er nicht wollte, dass Shev seine Zweifel spürte. »Sorg du für Keda.«
»Du klingst, als würdest du glauben, dass du nicht zurückkommen wirst.«
»O nein. Ich komme zurück, sobald ich kann«, erklärte Kieran bestimmt.
»Nun denn, viel Glück«, sagte Shev nach einer kurzen und unangenehmen Pause. »Mögen die Götter mit euch sein.«
Er schaute zu Anghara hinüber und sah nicht, wie Kieran über die Schulter zurückblickte und erschauderte. In der Tat würden Götter bei ihnen in den Bergen sein, aber es waren nicht die gütigen Götter, deren Schutz Shev beschworen hatte.
Shev blieb nicht, um ihnen nachzusehen. Er drehte sich auch nicht um, als sie den ersten Schritt in die Berge taten. Er drehte sein Kamel um und trieb es zu größtmöglicher Eile an. Den beiden am singenden Stein wandte er entschlossen den Rücken zu. Es gab Dinge, die ein Mann lieber nicht sah. Er hatte nicht das Zweite Gesicht, kam nicht einmal aus einer Familie, in der diese Gabe vererbt wurde. Aber zuweilen war es sogar gewöhnlichen Sterblichen gegeben, etwas von dieser anderen Welt zu spüren, in der sich die mit dem Zweiten Gesicht bewegten. Und die beiden, die sich auf diese Reise machten, umgab etwas, bei dem sich Shevs Nackenhaare aufstellten. Vielleicht war es nur die ferne Erinnerung an halbvergessene Händler aus Kheldrin, fremdartig und mit goldenen Augen, die vor langer Zeit auf einen kleinen Jungen tiefen Eindruck gemacht hatten – aber obwohl Shev nie bewusst eine Kheldrini gesehen hatte, spürte er etwas in Angharas Bewegungen. Geboren in
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